Kay Susan
seine Maske und verfiel in brütendes Schweigen. Nach einer Weile trat er ans Fenster und schaute so abwesend hinaus, daß ich mich fragte, ob er sich meiner Gegenwart überhaupt noch bewußt war. In der Hand hielt er plötzlich etwas, das wie ein silberner Kompaß aussah, und drehte es nervös hin und her.
»Er hat mir alles beigebracht«, hörte ich ihn murmeln. »Alles! Ich kann nicht weiter all das vergeuden, was er mir gegeben hat. Ich möchte etwas Schönes bauen, etwas, worauf er stolz gewesen wäre. Es muß einen Sinn haben, auf dieser Welt zu sein. Das Leben muß irgendeinen Sinn haben.«
Ich verharrte geduldig, weil ich erwartete, noch mehr zu hören, aber er sagte nichts mehr. Seine Hand war jetzt leer, der Kompaß war ebenso plötzlich und geheimnisvoll verschwunden, wie er aufgetaucht war. Er schien in tiefe Tagträume versunken, während er hinunter in den Gulistan starrte. Leise schlüpfte ich aus dem Zimmer und ließ ihn allein.
6. Kapitel
Ich hatte gehofft, nachdem ich meine Mission heil hinter mich gebracht hatte, würde ich frei sein, nach Hause zurückzukehren und meine normalen, weniger beschwerlichen Pflichten wieder aufzunehmen. Später am Tag wurde ich jedoch zum Schah befohlen und erfuhr, daß ich am Hof bleiben sollte.
»Ich habe noch eine weitere kleine Aufgabe für Sie, Daroga«, sagte mein junger Herr, und mir stockte der Atem, denn ich hatte plötzlich die unangenehme Ahnung, worin diese Aufgabe bestehen würde.
»Ich habe die Absicht, Ihnen die volle Verantwortung für das Wohlbefinden meines maskierten Freundes zu übertragen«, fuhr der Schah fort und zwirbelte die dünnen Enden seines Schnurrbarts, um sie übertrieben hochzubiegen. »Sie werden für jeden Schaden haften, den er erleidet, solange er in meiner Gunst steht. Sie verstehen, diese Aufgabe kann ich keinem einfachen Leibwächter übertragen. Der Auftrag, den er in Mazenderan ausführen soll, ist ein Staatsgeheimnis . . . ich brauche einen erprobten, loyalen Mann, der ihn überwacht. Dafür ist niemand besser geeignet als Sie, Daroga. Sie kennen ihn besser als jeder andere. Der Mann fasziniert mich, aber ich bin mir durchaus bewußt, daß man ihn sehr sorgfältig beobachten muß.«
Unglücklich neigte ich den Kopf.
»Es wird sein, wie Ihr befehlt, Schatten Gottes«, murmelte ich. Am nächsten Tag begleitete ich Erik bis zu der Sperre, die den
Harem vom Rest des Palasts abtrennte.
»Weiter darf ich nicht gehen«, sagte ich.
Ich wies auf die beiden Eunuchen, die darauf warteten, ihn in
das innere Heiligtum der Khanum zu führen. Sein Eintritt in diese exklusive Domäne war ein besonderes Vorrecht, wie es gelegentlich einem Arzt gewährt werden mochte – ein Privileg, das zu mißbrauchen ihm die Strafe eines gräßlichen Todes eingebracht hätte. Niemand, der bei Hof Erfolg haben will, kann es sich leisten, die
Bedeutung von Haremsintrigen zu unterschätzen. Ich hatte schon lange die Vorsichtsmaßnahmen ergriffen, mir innerhalb dieser geheiligten Mauern private Verbindungskanäle zu schaffen. Das war nicht schwer. Eunuchen lieben bekanntlich das Geld und die Dinge, die man damit kaufen kann. Die körperlichen Auswirkungen der Kastration zwingen sie, sich des Alkohols zu enthalten, aber sie lieben Opium, Duftwässer und Konfekt, und für den richtigen Preis verraten sie jedes Geheimnis.
Der Serail war das Reich der Khanum, eine exklusive Welt, deren heimtückischer Einfluß den Hof durchzog wie eine Wolke giftigen Parfüms. Traditionell war es ein Ort bitterer Rivalitäten, erstaunlicher Verschwörungen und heftiger, gewaltsamer Tode. Die gegenwärtige Khanum war eine Kraft, mit der man rechnen mußte, eine gutaussehende, energische, kluge Frau, die wußte, wie sie ihren Sohn am vorteilhaftesten gängeln konnte. Sie leitete den Harem mit rücksichtsloser Despotie, machte die drei Hauptfrauen des Schahs zu schüchternen, unterwürfigen Wesen und regierte mit eiserner Hand die Konkubinen. Sie verbrachte ihre Tage damit, Zuckerpflaumen zu essen und gelegentlich eine Wasserpfeife zu rauchen, und aus purer Langeweile hatte sie einige verhängnisvolle Kabalen ausgeheckt. Ich glaube, bei Hof gab es keinen Mann, der sie nicht mehr fürchtete als den Schah selbst. Ich war bereit, ansehnliche Summen zu bezahlen, um zu erfahren, wie Erik in dieser verschleierten Welt labyrinthischer Gänge, marmorverkleideter Bäder und gedämpften Flüsterns empfangen wurde.
Man sagte mir, die Khanum habe ihn mehr als eine Stunde warten
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