Kay Susan
legte seine Hand unter das Kinn des Jungen und hob sein Gesicht zum Licht.
»Ich werde zurückkommen, sobald meine Pflichten bei Hof es mir erlauben. Aber falls du weinst, wenn ich fortgehe, wird dein Vater mir verbieten, noch einmal zu dir zu kommen. Du hast dich in seiner Gegenwart sehr schlecht benommen. Geh jetzt zu ihm und bitte ihn um Verzeihung.«
Reza kam zu mir wie ein Automat, mit all der Demut und Ehrerbietung, die sein Meister ihm befohlen hatte, und ich verzieh ihm gnädig, bezwungen durch Eriks überlegenen Willen.
Ich spürte genau, in welchem Augenblick Erik beschloß, uns aus seinem Bann zu entlassen. Es war wie das Abschalten eines elektrischen Stroms.
Wenn ich ihn noch nicht als kaltblütigen Mörder erlebt hätte – an diesem Tag hätte ich ihn als den gefährlichsten Mann der Welt erkannt.
5. Kapitel
Am folgenden Morgen brachen wir nach Teheran auf. Wir nahmen die alte Karawanenstraße vom Kaspischen Meer durch die Schluchten und über die Pässe des Elburz-Gebirges. Auf dem Gipfel des Damavand-Vulkans, des höchsten Berges in Persien, lag Schnee. Noch wurde der Bergpaß nicht von den Schneestürmen und tückischen Lawinen heimgesucht wie im Winter alltäglich, doch ein grausamer Wind drang durch unsere wärmsten Kleider und ließ uns die Köpfe einziehen. Meine Diener taten unter den schwierigen Umständen ihr Bestes, und abends aßen wir Lammragout, Kebab und Pilaw. Doch ich hatte die freie Natur inzwischen gründlich satt. Als wir uns endlich Teheran näherten, wärmte der Anblick der häßlichen Lehmmauer, der runden Türme und des vierzig Fuß breiten Wassergrabens mein Herz. Meine Aufgabe war fast vollbracht. Bald würde ich von meinem seltsamen, beunruhigenden Gefährten befreit sein.
Als wir das mit glasierten Fliesen geschmückte Tor passiert hatten und das Innere der Stadt betraten, hörte ich von Erik einen Ausruf des Widerwillens, als er die engen, schmutzigen Straßen und die offenen Abwasserkanäle sah.
»Welche Verwahrlosung!« murmelte er finster. »Welch schändliche Armut!«
Ich war geneigt, ihm zuzustimmen, aber ich hatte kein Verlangen, die Eigensucht des Schahs zu kritisieren.
»Gewiß«, räumte ich vorsichtig ein, »die Lebensumstände des Volkes sind bedauerlich.«
»Um die Lebensumstände des Volkes geht es mir nicht«, sagte er kalt. »Es ist die Stadt, die mich abstößt. Habt ihr keine Architekten in Persien?«
»Es gibt schlimmere Orte auf der Welt«, murmelte ich. »Nicht viele, Daroga, nicht viele. Dies ist das scheußlichste Beispiel einer Hauptstadt, das ich je gesehen habe. Die ganze Gegend ist ein stinkender Misthaufen und hat nicht ein einziges Bauwerk, das meine Aufmerksamkeit verdient. Genau das werde ich dem Schah sagen, wenn ich ihn sehe.«
»Allah!« Entsetzt stieß ich die Luft aus. »Sie würden noch vor Morgengrauen hingerichtet!«
»Sei’s denn«, stimmte er mit Gelassenheit zu.
Verzweifelt sah ich ihn an.
»Wenn Sie ihm das wirklich sagen wollen, dann sollten Sie zumindest Ihre Ausdrucksweise mäßigen.« Ich griff in meine Jacke und nahm einen gefalteten Bogen Papier heraus, den ich ihm reichte. »Dies sind einige der vorgeschriebenen Anredeformen. Ich rate Ihnen, sie vor Ihrer Audienz auswendig zu lernen.«
Er studierte das Papier einen Augenblick und brach dann in Lachen aus.
»Gegrüßet seid Ihr, Beherrscher der Welt!« sagte er in übertrieben pathetischem Ton. »Laßt mich Euer Opfer sein, Schatten Gottes! Glauben Sie im Ernst, ich würde derart übelkeiterregenden Unsinn in den Mund nehmen?«
»Ich weiß, für europäische Ohren hört es sich vielleicht ein wenig absurd an.«
»Es ist schlimmer als absurd, Daroga, es ist eine Beleidigung der menschlichen Intelligenz!«
»Es ist bloß eine höfische Formalität«, seufzte ich. »Es bedeutet gar nichts.«
»Wenn es nichts bedeutet, spielt es ja auch keine Rolle, wenn ich es nicht sage«, erwiderte er mit aufreizender Logik. »Ich habe nicht die Absicht, mich wie ein lächerlicher Wurm zu krümmen, nur, um die kolossale Eitelkeit Ihres Monarchen zu befriedigen. Ich werde ihn mit normaler Höflichkeit ansprechen und nicht mehr.«
»Nun gut«, sagte ich gereizt. »Beharren Sie meinetwegen auf diesem leichtsinnigen Verstoß gegen die Etikette. Aber reden Sie ihn unbedingt mit gnädigster Herr an.«
Das Lachen verschwand aus seinen Augen, und der Blick, der an seine Stelle trat, ließ mich vor Angst frieren.
»Es gibt keinen Menschen auf der Welt, dem ich je wieder diesen Respekt erweisen
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