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Kayankaya 4 - Kismet

Kayankaya 4 - Kismet

Titel: Kayankaya 4 - Kismet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Arjouni
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Bahnhofsviertel gelaufen, meine Füße taten weh, meine Schultern waren naß, und in meinem Bauch gluckerte eine Mischung aus Tee, Kaffee, Bier und Apfelwein. In unzähligen Kneipen und Restaurants und an mehreren Imbißständen hatte ich Wirte, Kellner und Verkäufer gefragt, ob sie schon mal von der Armee der Vernunft gehört hätten. Etwa ein Drittel schien ehrlich überrascht und wollte meistens wissen, ob das irgendeine blöde Kampagne gegen Alkohol wäre. Das zweite Drittel verstummte, ließ mich sitzen oder stehen und kam nicht mal mehr zum Abkassieren. Der Rest hatte mich mit Variationen der Frage, wieviel mir eine Information wert sei, um etwa fünfhundert Mark erleichtert. Rausgekommen war folgendes: Mit selbst für Bahnhofsviertelverhältnisse ungewöhnlicher Brutalität und Kompromißlosigkeit drang die Armee der Vernunft seit ungefähr zwei Wochen ins Schutzgeldgeschäft. Sie kamen immer zu zweit, sagten kein Wort, waren gepudert oder geschminkt, verständigten sich mit hochtrabendem Geschreibsel und zogen bei geringstem Widerstand Pistolen oder Messer. Einem Kebabverkäufer und einem Kellner, die zu denen gehörten, die sich bei Erwähnung der Armee augenblicklich von mir abwandten, sah man den Widerstand noch an. Wie bei Romario war ihre rechte Hand bandagiert.
    Von denen, die mit mir sprachen, mochte keiner auch nur vermuten, wer die Armee war, woher sie kam oder wer hinter ihr stand. Als wäre sie von einem anderen Planeten zufällig ins Bahnhofsviertel geplumpst und wollte von dem Zeug, das die hiesigen Bewohner Geld nannten und von dem man offenbar nicht genug haben konnte, möglichst schnell möglichst viel zusammenraffen. Das übliche Interesse von Schutzgelderpresser-Banden, ihre Quellen am Sprudeln zu halten, schien der Armee völlig abzugehen. Von jedem verlangte sie eine Summe, von der sie offenbar glaubte, daß sie in kürzester Zeit in bar aufgetrieben werden könne - ob der Betrieb dadurch zusammenbrach oder nicht. Von einem Restaurant mit Weinkarte und weißen Tischdecken forderte sie dreißigtausend, von einer Würstchenbude viertausend. Obwohl die Armee die Spenden als monatlich angekündigt hatte, handelte es sich also wahrscheinlich um einmalige Zahlungen. Der naheliegendste Grund dafür schien, daß sie einen Krieg mit den im Viertel eigentlich herrschenden Banden vermeiden wollte. Schnell rein, schnell raus, ehe die Platzherren reagieren konnten.
    Seit etwa einem Jahr waren Straßen und Geschäfte des Bahnhofsviertels zwischen einem deutschen, einem albanischen und einem türkischen Boss genau aufgeteilt, und jeder im Viertel, nicht zuletzt die Polizei, war über diese mühsam ausgehandelte Ordnung froh. Fast ging es wieder so ruhig zu wie vor neun Jahren, als es noch die Gebrüder Schmitz, die unumstrittenen Könige des Bahnhofsviertels, und eine korrupte CDu-Stadtregierung gegeben hatte, die die Gebrüder machen ließ. Damals genehmigten oder verboten die Gebrüder von offiziellen Bordellbetrieben bis zu illegalen Glücksspielkellern so ziemlich alles, womit im Viertel Geld verdient wurde. Mal mit diplomatischem Geschick, mal mit Schlägertrupps sorgten sie für einigermaßen reibungslosen Geschäftsverlauf und kassierten von jeder verdienten Mark gerade so viele Prozente, daß die Abkassierten nicht auf die Idee kamen, das System ernsthaft in Frage zu stellen. Es war ihnen sogar gelungen, den seit den siebziger Jahren immer unheimlicher werdenden Drogenhandel und -konsum auf bestimmte, am Rand des Viertels gelegene Plätze zu verbannen. So konnten Familienväter und Geschäftsreisende ihr Vergnügen suchen, ohne von delirierenden Halbtoten ständig daran erinnert zu werden, daß die nächtliche Glitzerwelt mit Schampus, Glückssträhnen und Strapsdamen zu nicht geringem Teil auf zerstochene Venen gebaut war. Im großen und ganzen lief es unter den Gebrüdern Schmitz also so gut, wie es in einem Puffviertel eben laufen kann: Die Polizei wußte, an wen sie sich nach Schießereien wenden mußte, Wirte und Bordellbetreiber wußten, daß ihnen außer den Gebrüdern jeder den Buckel runterrutschen konnte, die Fixer wußten, wohin sie sich zu verkrümeln hatten, und jemand wie ich wußte, wo er morgens um drei ein Bier bekam. Doch dann wählten die Frankfurter sich eine SPD-Regierung, der regelmäßige Geldfluß von den Gebrüdern Richtung Rathaus wurde aufgedeckt, und es war Schluß mit dem kleinen Königreich. Die Gebrüder verschwanden erst aus der Stadt, dann aus dem Land und

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