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Kayankaya 4 - Kismet

Kayankaya 4 - Kismet

Titel: Kayankaya 4 - Kismet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Arjouni
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weitergehen?«
    »Tja…« Romario ließ den letzten Rest Öl aus der Büchse auf ein Stück Knäckebrot tropfen und schob es sich in den Mund. Als er fertig gekaut hatte, sagte er: »Ich hab gedacht, ich tauch erst mal unter, bis ich sehe, wie sich die Dinge entwickeln.. .«
    Er sah mich erwartungsvoll an. Ich sah abwartend zurück.
    »… Na ja, und da hab ich mir überlegt, also, nur mal so, und nur, wenn du nichts dagegen hast, ob… ja, ob ich vielleicht ein paar Tage bei dir bleiben könnte.«
    Ich betrachtete ihn eine Weile, fragte mich, ob meine Gesellschaft ihm aus irgendeinem bizarren Grund behagen könnte oder ob er einfach tatsächlich so alleine und am Ende war, daß er für einen Sofaplatz jede Piesackerei ertrug. Ich schenkte mir Wodka nach und steckte mir eine Zigarette an. »Warum bist du nicht einfach, wie verabredet, für ein paar Wochen in den Süden geflogen.« Es war keine Frage, sondern ein Seufzer. Zu meiner Überraschung bekam ich eine Antwort.
    »Aber das konnte ich doch nicht!« sagte Romario und machte selbst für diesen an Verzweiflung nicht gerade armen Besuch eine ungewöhnlich verzweifelte Miene.
    »Was heißt das, du konntest nicht?«
    »Ich …« Er sah zu Boden. »… Ich kann nicht einfach irgendwohin fliegen. Nur nach Brasilien, aber dafür habe ich kein Geld. Du hast recht, das >Saudade< war in letzter Zeit nicht besonders rentabel, und genaugenommen bin ich pleite. Das Ticket hätte ich zwar gerade noch bezahlen können, aber dann nach der ganzen Zeit zum ersten Mal wieder dort sein und die Familie und meine alten Freunde nicht mal zum Essen einladen können - das geht nicht.«
    »Gibt ja nicht nur Brasilien. Für ‘ne Pauschalreise Mallorca hätten wir die paar Mark schon zusammengekratzt.«
    Er hob den Kopf, das Gesicht auf einmal von Wut verzerrt. »Ich sage doch, ich kann nicht einfach irgendwohin fliegen! Dafür brauche ich ein Visum, und das dauert, und am Ende bekomme ich doch keins!«
    »Warte… das heißt doch nicht etwa, daß du nur ‘ne Aufenthaltsgenehmigung hast?«
    »Doch, das heißt es!«
    »Ach was. Aber du hast doch immer erzählt, du wärst im Sommer an der Cöte d’Azur und was weiß ich wo?«
    Einen Moment lang bohrte sich sein Blick in mich, als überlege er, ob es irgendeine Möglichkeit gebe, mich wegen seelischer Grausamkeit zu belangen. Doch dann sah er wieder zu Boden, seine eben noch energisch gespannten Schultern sackten ab, und erschöpft sagte er: »Hab ich erzählt, ja.«
    »Und wo warst du tatsächlich?«
    »In meiner Wohnung.« Die Worte kamen jetzt wie aus einem Automaten. »Manchmal bin ich für ein paar Tage an den Baggersee gefahren, zelten.«
    »Sag mal…«, ich drückte die Zigarette aus und beugte mich über den Tisch, »du machst mir hier doch kein Heulemärchen vor, oder?«
    Ohne aufzusehen, schüttelte er den Kopf. »Darf ich noch einen Schluck?«
    »Bedien dich.«
    Er schenkte sich ein, trank und stellte das Glas ab. Mit einem Mal wirkte er merkwürdig gefaßt. Wie unter Hypnose. Die Hände flach auf die Stuhllehnen gelegt, den starren Blick vor sich auf den Tisch gerichtet, erklärte er: »Ich lebe seit über zwanzig Jahren hier, arbeite, wohne und so weiter. Jedes Jahr muß ich zum Ausländeramt und meine Aufenthaltsgenehmigung verlängern lassen von Typen, die zum Teil nicht mal so lange auf der Welt sind wie ich in Frankfurt, und denen es mehr oder weniger egal ist, ob sie hier oder in Bielefeld hocken. Mir ist es nicht egal. In Frankfurt habe ich mein erstes Geld verdient, meine erste eigene Wohnung gemietet und war zum ersten Mal richtig verliebt. Von alldem ist nicht viel übriggeblieben, aber die Stadt erinnert mich daran, daß man was anfangen und Erfolg haben kann. Und egal wie’s gerade läuft, sie gibt mir einen Stolz. Ich habe ihre Sprache gelernt, ich kann Henninger-Bier von Binding unterscheiden, ich weiß, wo’s die billigsten Autoreifen gibt, und ich kenne Kneipen, die kennt kein Eingeborener.«
    Er machte eine Pause, griff zur Flasche und schenkte uns nach. Alles an und in ihm schien ruhig, nur der Flaschenhals klickte etwas zu oft und zu schnell hintereinander gegen die Glasränder.
    »… Aber wie gesagt, jedes Jahr muß ich darum betteln, ein weiteres Jahr bleiben zu dürfen. Jedesmal muß ich wieder beweisen, daß ich Arbeit und Wohnung habe und niemandem auf der Tasche liege. Und dann sitz ich da im Wartesaal zwischen den ganzen anderen armen Idioten, die sich auch alle die Schuhe geputzt und ein frisches

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