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Kayankaya 4 - Kismet

Kayankaya 4 - Kismet

Titel: Kayankaya 4 - Kismet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Arjouni
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Hemd angezogen haben, damit sie bei Herrn Müller oder Meier einen guten Eindruck machen, und alle schwitzen und rauchen und müssen zum Teil auf dem Boden sitzen, weil nicht genug Stühle da sind, und nach drei oder vier Stunden, wenn endlich deine Nummer drankommt, bist du nur noch ein zerknittertes, stinkendes Etwas, das Herrn Müller oder Meier fast recht geben möchte, wenn er dich anguckt, als wollte er sagen: Was wollen Sie erbärmliche Erscheinung denn in unserem schönen Land?«
    Er hielt inne und sah abwesend auf seine wie tot auf den Stuhllehnen liegenden Hände.
    »… Na ja, ein Tag im Jahr, an dem dir schön deutlich gemacht wird, wie wenig du hier verloren hast. Oder zwei, wenn dir irgendein Wisch fehlt und Müller-Meier dich schikanieren wollen. Und natürlich die Tage, an denen du die Wohnung wechselst oder die Arbeit oder ein Geschäft aufmachst oder, wie gesagt, verreisen möchtest. Aber die vielen anderen Tage im Jahr gehöre ich zu denen, die man auf der Straße anhält und fragt, wo welche U-Bahn hinfährt oder wo die nächste Post ist. Und der wollte ich auch vor dir, vor euch, vor wem auch immer sein.« Er sah auf. »Ich habe es geschafft, an diesen anderen Tagen übers Frankfurter Wetter meckern zu können, ohne daß mir jemand dumm kam, warum ich, wenn’s mir hier so wenig gefiele, nicht ins sonnige Brasilien zurückginge? Aber hätte mich das auch keiner gefragt, wenn bekannt gewesen wäre, wie ich hier seit zwanzig Jahren vor den Schreibtischen irgendwelcher Stempelinhaber herumkriechen muß und daß das wahrscheinlich nie aufhören wird?«
    Ich betrachtete sein graues, unrasiertes Gesicht und schüttelte langsam den Kopf. Jeder andere hätte mir leid getan. Nicht, weil die Verhältnisse oder Gesetze so waren, wie sie waren, und Leute durch sie in Schwierigkeiten gerieten - das brachten egal welche Verhältnisse und Gesetze nun mal mit sich, und irgendwann hatte ich an mir festgestellt, daß Mitleid in diesen Zusammenhängen nur eine relativ ansehnliche Form war, die Hände im Schoß liegenzulassen. Doch wenn jemand sich im geheimen lebensbestimmende Regeln schuf und sie auf Teufel komm raus einhielt, ohne wahrhaben zu wollen, daß weder Einhaltung noch Verstoß irgendein Schwein interessierten, dann litt ich tatsächlich mit.
    Normalerweise jedenfalls. Offenbar hatte Romario sämtliche Gefühle dieser Art, die bei mir für ihn auf Lager gewesen waren, letzte Nacht restlos aufgebraucht.
    Ich steckte mir die nächste Zigarette an und schenkte erneut nach. »Keine Ahnung, wer dich was gefragt hätte. Vermutlich ist es den meisten Leuten aber gar nicht so wichtig, ob du irgendwo herumkriechen mußt oder nicht. Den Ausweis hätte ich dir jedenfalls in einer Woche besorgen können.«
    »Bitte?« entfuhr es ihm, und endlich kam wieder Leben in den Tangomann. Die Augen klarten auf, sein Blick fixierte mich ebenso hoffnungsvoll wie ungläubig, und in überraschend scharfem, keine nett gemeinten Mätzchen duldendem Ton fragte er: »Wie meinst du das?«
    »Ich kenn jemanden, der macht dir das Ding. Ganz offiziell. Ich wird ihn morgen anrufen.«
    Einen Moment schien er zu überlegen, wo der Haken an der Sache sei, bis er anhob: »Kemal, das wäre wirklich…«, und Anstalten machte, aufzustehen und mich zu umarmen.
    Ich winkte schnell ab. »Schon gut. Es kostet mich nichts. Es macht mir sogar Spaß.«
    »Spaß?«
    Ich nickte, kippte den letzten Schluck Wodka und stand auf. »Hat nichts mit dir zu tun.« Ich sah in seine weit offenen, leuchtenden Augen und mir graute bei der Vorstellung, wie Romario diesen Ausdruck ab jetzt bis zur Übergabe des Ausweises beibehalten würde. Ein dankbarer Romario war fast noch unerträglicher als ein undankbarer. Immerhin wußte ich, daß, sobald der Ausweis in seinen Händen wäre, wieder die alte großspurige Memme zum Vorschein käme. Vielleicht würde ihm das Ausweispapier farblich nicht passen, oder er hätte sich bei der Angabe zur Körpergröße ein paar Zentimeter mehr gewünscht.
    »Ich muß jetzt ins Bett. Du kannst heute nacht auf der Couch schlafen. Morgen suchst du dir was anderes.«
    »Aber sicher«, beeilte er sich zu sagen, während er ebenfalls aufstand. »Wie du möchtest. Ich will dir wirklich nicht zur Last fallen.«
    »Na, wunderbar. Und wo ein Wille ist, ist ja bekanntlich und zum Glück auch ein Weg.«
    Romario stutzte, dann lachte er bemüht und zwinkerte mir zu, als wollte er sagen, Kayankaya, altes Haus, ich kenn dich doch, harte Schale,

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