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Kayankaya 4 - Kismet

Kayankaya 4 - Kismet

Titel: Kayankaya 4 - Kismet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Arjouni
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verpackten Stücken wieder hervorkam. Rote Schrift auf schwarzem Grund: Mars. Ich nahm eins, riß das Papier auf, biß eine Ecke ab und spuckte sie sofort wieder aus. Wenn Ahrens das als Schokoriegel verkaufte, fand das Filetessen vielleicht auf der hiesigen Toilette statt. So was hatte ich noch nie im Mund gehabt. Bewahrte man die allermieseste, nahezu kakaofreie, zum größten Prozentsatz aus Tierkadaverfett und Farbstoff zusammengerührte Schokolade ein paar Wochen in einem ausgeschalteten und geschlossenen Kühlschrank auf, dann kam möglicherweise etwas heraus, was diesem Zeug geschmacklich ähnelte. Als Gegengift steckte ich mir augenblicklich eine Zigarette an. Am liebsten hätte ich sie gegessen.
    Beim Eingangstor befand sich das Lager. Bis zur Decke stapelten sich zugeklebte, beschriftete Kisten. Mars, Snickers, Milka, Werthers Echte, Nimm 2, aber auch Namen wie Berliner Zucker, Schokobrezen Oktoberfest, Mercedespowerriegel, Süße Steffi und nicht zuletzt: Johannisbeerbonbons aus Deutschland.
    Die nächsten zwei Stunden verbrachte ich in dem kleinen verglasten Büro neben der Toilette. Ich las in Aktenordnern und Korrespondenzen, sah mir Rechnungen an, klickte mich durch einen Computer. Verschlossene Schränke oder Paßwörter hielt man in Scheich Suppes Reich offenbar nicht für nötig. Am Ende ergab sich folgendes Bild: Ahrens bezog aus der ganzen Welt Abfälle - Schokolade, die im Rührbottich versehentlich einen Strahl Maschinenöl abbekommen hatte, Kakaopulver von einer Pflanzung, in deren unmittelbarer Nähe ein Chemiewerk in die Luft geflogen war, verschimmelte Nüsse, verkommene Hühnereimasse, irgendwelche aus irgendwelchen Gründen versauten Geschmacksverstärker und so ziemlich jedes Fett, das krank oder tot machte -, mischte alles zusammen, machte Stückchen draus, klebte einen bekannten oder erfundenen Namen drum und verkaufte das Zeug in Ländern, in denen entweder Mars oder Oktoberfest einen Klang hatten, der anscheinend gut genug war, damit sich die Produktion lohnte. Mars, Snickers und Werthers Echte gingen nach Rumänien, Bulgarien, Serbien, Albanien und in den westlichen Teil Rußlands. Berliner Zucker, Mercedespowerriegel und Süße Steffi gingen nach Kroatien und ins Baltikum sowie nach Sibirien und an die Wolga, in Gegenden, in denen größere Gemeinschaften von Rußlanddeutschen lebten. Ich stellte mir einen jungen simplen Kerl vor, dessen Urururgroßvater aus dem Schwäbischen nach Rußland gekommen war und der sich darum heute zur Feier des Tages einen sicher nicht ganz billigen Westimport-Mercedespowerriegel leistete. Vielleicht wunderte er sich über den Geschmack. Vielleicht träumte er von einem Land, in dem die Cabriolets aus der Erde wuchsen.
    Zu Slibulskys Ehre war, was seinen Gaumen betraf, im Computer festgehalten, daß die Johannisbeerbonbons als einziges Produkt nicht aus Ahrens’ Abfallkücbe stammten. Ein ganz normaler Bonbonhersteller lieferte sie monatlich kostenlos, verpackt nach Ahrens’ Wünschen. Soweit ich mir aus Anspielungen und wenig verhohlenen Drohungen in Briefen und Notizen zusammenreimen konnte, wußte Ahrens von einem bei Veröffentlichung zwar nicht den Untergang bedeutenden, aber auch alles andere als unpeinlichen Ereignis im Leben des Herstellers. Man konnte nicht sagen, daß Ahrens viel ausließ.
    Ich legte Akten und Papiere an ihre Plätze zurück, schaltete den Computer aus und machte mich auf die Suche nach einer Tür, die sich aufbrechen ließ. Es gab keine. Wie vorauszusehen, waren alle mit Alarmanlage gesichert. Ich rauchte zwei Zigaretten zur Betäubung meiner Geruchsnerven, die nach der Gesichtsbehandlung des Hessen schon wieder gut, im Moment zu gut funktionierten, dann biß ich die Zähne zusammen und ging zur Toilette.
     
    Ich stand auf und schnappte eine Weile nach Luft.
    Im ersten Stock des Backsteingebäudes brannte immer noch Licht. Ich ging hinüber, versuchte vergeblich die Eingangstür zu öffnen, schlich einmal ums Haus, drückte gegen sämtliche Fenster und machte mich schließlich auf die Suche nach einer Leiter. Nachdem ich nebenan beim Reifenhändler mit dem Stemmeisen einen Schuppen aufgebrochen hatte, wurde ich zwischen allem möglichen Gerumpel fündig. Ein wurmstichiges Ding mit fehlenden Sprossen. Ich stellte sie gegen die Mauer, sie wackelte und knarrte, aber vorerst hielt sie. Noch mal durch den Stacheldraht, dann auf der anderen Seite runter und hin zu dem erleuchteten Fenster. Um hineingucken zu können, mußte ich

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