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Kaylin und das Geheimnis des Turms

Kaylin und das Geheimnis des Turms

Titel: Kaylin und das Geheimnis des Turms Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Sagara
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höher. Dann durchbrach ihr Gesicht die Oberfläche, als wäre die Erde ein Fluss, der sich langsam und unmerklich bewegte und dabei das Leben mit sich führte.
    Sie konnte etwas sehen, das wie Mondlicht wirkte – der rote Mond war voll, der helle Mond musste etwas in der Ferne verborgen liegen. Sie konnte etwas erkennen, das aus ihrer Perspektive wie Gras aussah, und da sie schon in ein paar Kämpfen unterlegen war, war ihr der Anblick sowohl vertraut als auch unangenehm. Sie streckte die Hand aus, griff eine Handvoll von besagtem Gras und zerrte daran, um sich nach oben zu ziehen. Was dumm war, weil ihr Platz im Baum ein aus Wurzeln geformtes V war. Eines wirklich, wirklich großen Baumes.
    Sie griff stattdessen nach den frei liegenden Wurzeln und fühlte ein vertrautes – und wenig willkommenes – Kribbeln, das an ihren Handflächen hinaufkroch. Was, wenn man bedachte, dass nirgendwo ein Warnzeichen zu sehen war, irgendwie nervte. Sie zog sich hoch und ließ so schnell wie möglich los.
    Severn folgte ein wenig langsamer, aber nicht viel. Er hatte eine beachtliche Größe und war immer schon besser im Klettern gewesen als sie. Er konnte sich an den Spalten der vertikalen Wände hinaufziehen, von denen sie geschworen hätte, dass sie nicht einmal einer Maus halfen.
    “Wo sind wir?”, fragte er sie.
    Es war eine vollkommen vernünftige Frage, und genau deswegen nervte es sie. Vernünftig zu sein, wenn die Welt um einen herum es nicht war, war nicht immer ein Geschenk für die Person, der diese Vernunft zuteilwurde.
    Aber da sie ein Falke war, wartete sie, bis ihre Augen sich an die Dämmerung gewöhnt hatten. “Ich glaube, wir sind in einem Garten. Na ja, mit Wänden. Und irgendwas Spitzem auf den Wänden drauf.”
    “Köpfe auf Dornen?”
    “So gut kann ich nicht sehen.”
    Er zuckte die Schultern und klopfte sich den Dreck aus der Tunika. Der Dreck, der in seinem Kettenhemd klebte, würde warten müssen.
    “Garten”, sagte er nach einer weiteren Minute. “Mit Blumenbeeten.”
    Die Art, wie er das Wort betonte, ließ sie verkrampfen. Severn war, genau wie Kaylin, kein großer Bewunderer von kultivierten Pflanzen, die man nicht auch essen konnte. Das bedeutete, er bemerkte die unnütze Art. Wie um die Tatsache zu unterstreichen, hob er eine Hand und deutete auf etwas.
    Um den riesigen Baum, in einem genau abgesteckten Kreis, der auf allen Seiten von niedrigen Felsen begrenzt war, standen weiße Pflanzen mit vier Blütenblättern. Sie waren offen und ihre goldenen Herzen sichtbar. Selbst im Mondlicht konnte Kaylin diese Blumen identifizieren. Lethe.
    Sie stöhnte auf. “Wenn das Letheblüten sind …”
    “Sind es.”
    “Niemand erntet sie. Nicht hier.” Der Dreck an ihrem Kleid war irgendwie eingewachsen. Sie versuchte gar nicht erst, ihn zu entfernen. Stattdessen berührte sie das schwer herabhängende Medaillon von Sanabalis. An ihm ließ sich der Dreck leichter abwischen. “Ich könnte vielleicht versuchen, sie zu verbrennen …”
    “Denk nicht einmal dran”, fuhr er sie an.
    “Lethe wirkt auf Menschen sowieso nicht.”
    Severn sagte einen Augenblick nichts. “Es gibt keine vorhersehbare Wirkung. Aber eine Wirkung hat es trotzdem.”
    “Du willst sie zerstören.”
    Er zuckte bloß mit den Schultern. Aber er ging auf den weißen Ring zu, der sie umgab, und blieb nur ein kurzes Stück von den Steinen entfernt stehen. Grau mit blauen Adern. Die blauen Adern leuchteten sanft. Der Kreis war zu breit, um einfach darüberspringen zu können.
    Er hob einen Fuß, und plötzlich begannen Kaylins Arme zu brennen. “Nicht!”
    Sein Fuß blieb in der Luft hängen. Er zog ihn zurück.
    Irgendetwas störte sie. Verdammt, irgendetwas fehlte. Sie sah die Blumen an. Wind begann über die geöffneten Blüten zu streichen und sie wie Wasser wellenförmig auf einem weißen Ozean hin und her zu bewegen. Ein starker, betäubender Duft wehte Kaylin in die Nase.
    “Ich habe ein ganz schlechtes Gefühl bei der Sache”, sagte sie zu Severn.
    Severn war bereits wieder einen Schritt zurückgetreten. Er beherrschte viele Facetten der Stille, diese fiel in die Kategorie grimmig.
    “Musst du nicht … irgendwas essen oder so?”, fragte sie ohne viel Hoffnung.
    Er zog die Schultern hoch. “In unserer Welt schon. Aber das hier ist ganz offensichtlich nicht die gleiche Welt.”
    Einen Augenblick schwieg sie. Dann nahm sie seine Hand in ihre. “Würdest du vergessen, wenn du könntest?”
    “Was

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