Kaylin und das Geheimnis des Turms
ihr Rang im Dienste des Lord Grammayre keine Bedeutung hat, war ihr nicht klar, dass ich mich für die Zeit der Feiertage habe entschuldigen lassen. Sie wollte mir nur eine Nachricht überbringen.”
“In diesen Hallen zu wandeln bedeutet den Tod”, sagte Lord Evarrim zu Kaylin.
“Sie wird sie nicht betreten”, entgegnete Teela. Kaylin hatte sich an Teelas Befehl erinnert und den Mund gehalten. Es fiel ihr schwer. Auch wenn Lord Evarrim tatsächlich kein arrogantes oder überlegenes Grinsen zur Schau stellte, hatten seine Worte doch den gleichen Effekt, und sie wollte es ihm aus dem Gesicht wischen.
Aber sie hing auch an ihrem Leben.
“Du kannst gehen”, sagte Lord Evarrim zu Kaylin.
Severns Hand lag plötzlich fest in ihrem Kreuz. Sie zwang sich zu einem Lächeln und nickte. Er führte sie zu den Ställen, wo die Kutsche untergestellt war.
“Er weiß es”, sagte Severn kaum hörbar.
“Ja. Ich würde mir gern vorstellen, er sei zu dumm. Aber selbst mir fehlt dazu die Fantasie.”
Severn öffnete die Tür. Sie war blau und golden, und die Farbe sah neu aus. Nicht einmal Teela auf dem Fahrersitz hatte sie beschädigt. Kaylin war vorher noch nie in einer kaiserlichen Kutsche gewesen, aber sie war sehr beeindruckt von der Handwerkskunst. Immerhin waren sogar die Räder noch dran.
“Ich bringe dich zurück zu den Hallen”, sagte er, während er ihr beim Einsteigen half. “Und ich nehme die Hauptstraßen.”
“Du hast schon Kutschen gefahren?”
Er nickte.
“Wann?”
“Vor drei Jahren. Und, nein, ich sage dir nicht, warum. Frag gar nicht erst. Du solltest nicht einmal wach sein.” Er hielt inne. Und dann, die Augen so dunkel, wie sie immer waren, blieb er doch noch in der Tür stehen. “Wie hast du ihn geweckt, Kaylin?”
Sie schüttelte den Kopf, ohne Severn dabei anzusehen. “Ich weiß nicht, ob ich es selber verstehe.”
“Du bist eine furchtbare Lügnerin.”
“Ich lüge nicht”, sagte sie ruhig. Sie starrte ihre Arme an.
“Ich habe nicht gesagt, dass du mich belügst.”
“Danke.”
Er schloss die Tür sehr vorsichtig, und sie spürte ein leichtes Federn, als er auf den Kutschbock kletterte.
7. KAPITEL
A ls Kaylin aufwachte, lag sie auf der Krankenstation und starrte die Rückseite von Morans gefleckten Flügeln an. Sie bewegten sich auf und ab. Moran saß auf einem Hocker und zermahlte etwas mit einem Mörser. Kaylin fühlte sich sofort gut. Allein der Gedanke an Morans Tränke und Salben hatte normalerweise diese Wirkung auf die Falken – oder Schwerter oder Wölfe –, die das Pech hatten, sie angeboten zu bekommen.
Wenn Anbieten so etwas wie Befehlen war, nur mit mehr Nachdruck.
Moran war keine Leontinerin, aber sie hatte Ohren. Sie drehte sich geschickt mit der Sitzfläche des Hockers um. “Du bist wach”, sagte sie.
Kaylin nickte. “Wie lange bin ich weg gewesen?”
“Eineinhalb Stunden. Offizier …”
“Könntest du ihn einfach Severn nennen?”
Moran hob eine Augenbraue. “Dann eben Severn. Er hat dich hergebracht. Ich habe dich untersucht, du siehst zum Fürchten aus.”
“Danke.”
“Aber nichts, was Schlaf nicht heilen kann. Mehr”, fuhr sie düster fort, “als eineinhalb Stunden davon, auch wenn ich dir verbunden wäre, wenn ich mein Bett zurückbekäme.”
Kaylin setzte sich langsam auf und schwang ihre Beine auf den Boden. Alles in allem fühlte sie sich schon besser. Falls “besser” bedeutete, einen Marathon gerannt zu haben und kurz vor dem Zusammenbruch zu stehen.
“Der Falkenlord will dich sehen, sobald du wach bist. Der Hauptmann will dich zuerst sehen. Sie hatten einen knappen leontinischen Austausch darüber, wer das Vorrecht hat, aber ich glaube, der Hauptmann hat gewonnen.” Sie schüttelte den Kopf. “Es ist kaum einen Monat her, Kaylin. Wenn ich dir sage, du sollst dich krankmelden, würdest du es tun?”
“Siehst du diese Finger? Siehst du diese Ohren?”
“Haha. Du bist ein Falke”, sagte Moran mit einem Schulterzucken. “Versuch sie nicht so oft zu besuchen, hmm?” Sie glitt von ihrem Hocker, als es Kaylin gelang, aufzustehen. Morans normalerweise frostige Miene taute auf. “Ich sage ja nicht, du sollst nicht mehr zu den Hebammen gehen”, sagte sie leise. “Ich würde dich nie bitten, mit dieser Last zu leben. Aber im Büro sitzt ein verdammter Drachenlord, der am Stuhl festgewachsen zu sein scheint. Dem Stuhl von Marcus”, fügte sie noch mit einem grimmigen Lächeln hinzu. “Falls du bei der Lektion über
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