Kaylin und das Geheimnis des Turms
würde einen guten Falken abgeben.”
“Behalte diese Meinung lieber für dich.” Teelas Stimme wurde weicher. “Das hast du gut gemacht”, wandte sie sich an Kaylin. Ihre Finger strichen Haarsträhnen aus deren Gesicht. “Ich werde nicht fragen, was du getan hast und wie. Ich werde nicht fragen, was du gesehen hast. Denn wenn du davon sprichst,
wird
er dich umbringen. Ich glaube aber, es würde ihm leidtun, falls das ein Trost ist.”
“Nicht sehr.”
“Hier. Offizier. Trag du sie weiter. Du kannst sie sogar zurück zu den Gesetzeshallen fahren. Aber ich warne dich gleich …”
Severn sagte etwas, das Kaylin dazu brachte, doch ihre Augen zu öffnen.
“Lord Evarrim, dahinten.”
Die rote Robe des Arkanisten war wie Feuer – bewegliches, lebendiges Feuer. Kaylin hielt es für ein Wunder, dass hinter ihm kein verbrannter Pfad entstand, und dachte auch, dass sie – nur für eine Sekunde – verstand, was die Form der Flamme war. Sanabalis wäre zufrieden gewesen.
Natürlich würde man sie höchstwahrscheinlich umbringen, sollte sie Evarrim hochheben und eine Kerze mit ihm anzünden.
Die Anzahl seiner Wachen betrug vier. Sie dachte, es müssten die gleichen sein, die sich früher am Tag um ihn geschart hatten, aber sie war so fertig, dass sie sie nicht länger unterscheiden konnte. Für sie sahen Barrani alle gleich aus.
Bis auf Evarrim. Er hatte sich mit einem Diadem gekrönt, dessen Mitte ein Rubin in der Größe einer Kinderfaust zierte. Unter diesem schmalen Reif lagen seine Haare, und seine Lippen hatte die Farbe seiner Haut. Es kam relativ selten vor, dass die Miene eines Barrani von so viel Ausdruck verunstaltet wurde.
Und Kaylin wäre glücklicher gewesen, hätte sie es nie gesehen. Die Barrani waren bekannt dafür, Schwäche zu verachten, und sie beseitigten Zeugen dieses Zustandes oft allein aus Prinzip.
Teela stellte sich vor Severn und Kaylin in Position, und Severn setzte Kaylin – zögernd – ab. “Kannst du stehen?”, flüsterte er.
“Ja.” Zum größten Teil stimmte das. Sie neigte sich irgendwie zur Seite und musste hoffen, dass keine starke Böe kommen würde, die sie umwarf.
“Anteela”, sagte Lord Evarrim, als er sich ihnen näherte. Seine Miene schien etwas entspannter zu sein. Seine Augen allerdings waren dunkelblau. Fast, aber nicht ganz, schwarz.
“Lord Evarrim”, entgegnete Teela, ihre Stimme brüsk und kalt. Als würde sie über Nacht Pflanzen eingehen lassen. “Ich habe meine Position bei Hofe wieder eingenommen. Das erfordert ein gewisses Maß an Förmlichkeit.”
“Nun gut, Lady Anteela. Ich mag Euch. Ihr müsst meine Vertraulichkeit vergeben. Ich versichere Euch, damit keine Beleidigung bezweckt zu haben.”
“Und ich versichere Euch, Lord Evarrim, dass ich nicht beleidigt bin. Ihr kommt früh zur Sitzung des Rates.”
Er hielt inne. “Der Rat wurde für drei Tage aufgeschoben.”
“Ah, entschuldigt bitte. Der Lord der Westmarsche war sehr beharrlich.”
“Der Lord der Westmarsche, Lady Anteela?”
“Ebenjener.”
“Ich habe Gerüchte gehört …”
“Der Rat war schon immer ein guter Nährboden für Gerüchte, Lord Evarrim. Manche von ihnen betreffen sogar das Arkanum, und ich bin sicher, Ihr wäret der Erste, der sie leugnen würde. In diesem Fall hat das Gerücht keine Basis, aber es wurde schnell verbreitet, und seine Auswirkungen bleiben noch abzuwarten. Es freut mich, Euch zu sehen”, fügte sie mit blaugrünen Augen hinzu. Sie war amüsiert. Und wütend. “Ich bezweifle nicht, dass der Lord des Barranihofes sich über Eure Anwesenheit freuen wird.”
Lord Evarrim schwieg einige Minuten.
Er schwieg sogar, als sein Blick auf Kaylins traf. Der Blick erinnerte Kaylin daran, dass diese Art Treffen, zumindest mit Lord Evarrim, mehr mit militärischen Aktionen als mit freundlichen Plaudereien zu tun hatten.
“Warum steht diese Sterbliche vor den Hohen Hallen?” Seine Stimme klang derart angewidert, als würde er nach der Zusammensetzung des Schleims, der unter seinen Stiefeln klebte, fragen. Nur, dass er natürlich Barrani war und es so etwas nicht gab. Zumindest nicht an seinen Stiefeln.
“Sie ist ein Offizier der Gesetze”, antwortete Teela mit einem Schulterzucken. “Und Ihr seid Euch sicherlich darüber im Klaren, dass ich dem Lord, dem auch sie dient, meine Treue geschworen habe. Sie kennt sich mit den Gepflogenheiten bei Hofe nicht aus.”
“Das kann sie nicht, sie ist schließlich sterblich.”
“Wohl wahr. Und weil
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