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Kaylin und das Geheimnis des Turms

Kaylin und das Geheimnis des Turms

Titel: Kaylin und das Geheimnis des Turms Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Sagara
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Blaus, er war entweder wütend oder besorgt. Bei den meisten Barrani konnte man den Unterschied nicht ohne Weiteres erkennen.
    Sie ging weiter. Und als ihr Fuß den letzten Stein betrat und überschritt, als sie das letzte Wort gesprochen hatte, begannen alle Symbole, grün zu leuchten.
    Der Lord der Westmarsche sagte: “So.”
    “Ihr hättet es auch gekonnt.”
    “Ja. Ich und vielleicht noch ein anderer.”
    “Warum habt Ihr …”
    “Es ist ein Test, Kaylin Neya. Und kein einfacher. Doch wenn du mit Barrani gedient hast, verstehst du, dass es nicht in unserer Natur liegt, gnädig zu sein. Bleib stehen”, sagte er sanft.
    “Noch ein Test?”
    “Nein. Wenn du dich bewegst, könntest du hineinfallen.”
    Was ihr plötzlich wie eine ganz, ganz schlechte Idee vorkam. Sie konnte schwimmen, das konnten alle Falken. Aber sie schwamm in
Wasser
.
    Die zähe Flüssigkeit, die im eigentlichen Sinne keine Flüssigkeit war, teilte sich langsam, als hätten vier Linien den Kreis durchzogen und zerteilt. Als wäre er ein Kuchen aus schleimigen Schnecken.
    Die Flüssigkeit zog sich in Abschnitten zurück. Sie floss nicht, und sie tropfte nicht. Sie wallte auch nicht richtig auf. Sie … zog sich einfach zurück, wie eine klebrig-zähe Haut.
    Und aus der größer werdenden Mitte entstieg ein Mann. Er war so groß wie der Lord der Westmarsche und genauso perfekt. Er war so erhaben wie der Kastenlord. Sie konnte hinterher nicht mehr sagen, was er getragen hatte. Das, was wie Kleidung anmutete, schien lebendiges Licht zu sein. Er beobachtete sie alle, dieser Mann unter der Flüssigkeit, umgeben von Fackeln, die so schwach leuchteten, als ob sie jeden Augenblick verlöschten.
    Fast vergaß sie, still zu stehen.
    Andellen war sofort an ihrer Seite, die Hände an ihren Armen, seine Brust an ihrem Rücken. An ihm war keine Wärme, aber sie konnte Kraft spüren. Er hielt sie aufrecht, als ihre Knie plötzlich nachgaben.
    Als sie etwas flüsterte, das nicht einmal ein Wort war.
    “Lord der grünen Auen”, sagte der Lord der Westmarsche und dann, mit einer Stimme, in der Wut und Schmerz widerhallten: “Bruder.”
    Doch der Lord der grünen Auen hatte nur Augen für Kaylin, und auch Kaylin konnte ihren Blick nicht abwenden. Seine Augen waren fast grün, aber wo die Augen der Barrani normalerweise klar waren, waren seine trüb. Es war Blau in ihnen, und auch das war trüb. Aber er war nicht blind.
    Er war auch der einzige Lord der Barrani, der sie ansah und nicht zuerst das Zeichen auf ihrer Wange bemerkte.
    Etwas an ihm kam ihr vertraut vor. Nicht sein Gesicht und bestimmt auch nicht seine Kleidung; nicht seine Haltung, nicht seine Bewegungen – denn er bewegte sich nicht. Etwas lauerte am Rand ihres Bewusstseins, und wäre sie kein Falke gewesen, es wäre ihr wohl entgangen.
    Als sie es endlich zu fassen bekam, wünschte sie sich, ein Schwert oder ein Wolf zu sein.
    Sie drehte sich dem Lord der Westmarsche mit einem Gefühl zu, das man Panik nennen konnte, wenn man zu Untertreibungen neigte. Das war nie einer von ihren Fehlern gewesen. “Er ist …”
    “Ja?”
    Sie schluckte. Das eine Wort klang scharf und war die stärkste Drohung, die er bis jetzt ausgesprochen hatte. Sie hätte gerne zu Andellen geblickt, aber er stand hinter ihr.
    Vorsicht. Vorsicht war jetzt das erste Gebot. Denn sie wollte überleben. Das war schon immer ihr Ziel gewesen, und für viele wäre es nicht so bedeutend. Aber an diesem Hof war es vielleicht gerade unerreichbar geworden.
    “Er … stirbt”, sagte sie schließlich.
    “Ich lag auch im Sterben, als du an meine Seite gerufen wurdest.”
    Sie schüttelte den Kopf. “Nicht … nicht so.”
    “Sprich weiter, Kaylin.”
    Sei still, Kaylin
. Sie schluckte. “Lord der Westmarsche.
Kyuthe”
, ergänzte sie, “beantwortet mir eine Frage.”
    “Vielleicht. Stelle sie.”
    “Was bedeutet
Leoswuld
?”
    Die Stille war geradezu ohrenbetäubend.
    Doch der Barrani mit den milchigen, farbigen Augen hatte das Wort auch gehört.
    “Es ist das Leben eines Barrani”, antwortete der Lord der Westmarsche.
    “Aber hier bedeutet es etwas anderes.”
    “Ja. Der oberste Lord hat den Hof auf eine Art zusammengerufen, die in unserer Geschichte bisher nur wenige Male vorgekommen ist. Er hat vor, abzudanken.”
    Sie runzelte die Stirn.
    “Es ist nicht der Tod, wie du ihn verstehst”, sprach er leise weiter, “sondern das Geben von Leben. Was er weiterreicht, geht auf den nächsten Lord des Barranihofes

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