Kaylin und das Reich des Schattens
einem Bann zu belegen.”
“Wir müssen es Marrin erklären”, sagte sie leise.
“Marrin?”
“Ihrer Rudelmutter. Die Leontinerin, die die Findelhallen leitet.”
“Ah. Um diese Aufgabe beneide ich dich nicht. Aber ich vertraue darauf, dass du sie überlebst.”
Der diensthabende Sanitäter war Moran, eine Aerianerin, die wahrscheinlich als Leontinerin glücklicher geworden wäre. Sie hatte ein gutes Auge für Details – zum Beispiel die, die man während der Routineuntersuchung vergaß zu erwähnen – und keine Spur von Geduld für Leute, die lieber die Zähne zusammenbissen, statt sich behandeln zu lassen. Dadurch war sie außergewöhnlich gut für die Falken geeignet, aber sie war auch extrem launisch.
Sie wartete bereits an ihrem Untersuchungstisch, als es Kaylin gelang, Severn durch die Tür zu schieben. Sie schnalzte drei Mal mit der Zunge, was ihren vogelartigen Körperbau, der den meisten Aerianern
nicht
zu eigen war, unterstrich, streckte ihre Flügel aus, um ihr Missfallen auszudrücken, und nahm ihm Catti aus den Armen.
“Kaylin”, sagte sie, während sie Catti auf ihren Tisch legte. “Du siehst gut aus.” Prellungen bereiteten Moran nur Sorge, wenn sie die falsche Farbe hatten – Kaylin hatte nie gefragt, was genau das bedeuten sollte.
“Du hast sie gefunden”, fügte Moran leise hinzu. “War sie schon wieder bei Bewusstsein?”
“Sie war wach, als wir sie gefunden haben”, antwortete Kaylin. “Aber sie musste von den Tha’alani untersucht werden.”
“Ehe sie hierher gebracht wurde?”
Kaylin zuckte zusammen. “Die Tha’alani hat sie während der ganzen Untersuchung schlafen lassen. Du kannst sie wahrscheinlich aufwecken, wenn du willst.”
Aber Moran schüttelte den Kopf. “Sie ist erschöpft. Sieh dir ihre Augen an.”
Ihre Augen sind geschlossen
, dachte Kaylin. Aber sie sah gehorsam dennoch hin.
“Und ihre Lippen sind aufgesprungen. Sie hat wahrscheinlichen in den letzten zwei Tagen nicht viel zu trinken bekommen.” Sie zog die Tunika hoch, runzelte sie Stirn, als sie die flachen Einschnitte in ihrem Bauch sah, und ging dann an die Schränke, in denen sich ihre Heilsalben verbargen. Kaylin bezeichnete sie für sich immer als Gifte. “Sie verheilen gut”, fuhr Moran mit sanfter Stimme fort, “und ich glaube nicht, dass sie sich noch entzünden werden.”
“Und die – die anderen Zeichen?”
“Sie bluten nicht”, sagte Moran, “und sie sind keine Wunden. Ich glaube auch nicht, dass es sich um Tätowierungen handelt – und wenn, wird es wahrscheinlich schmerzhafter, sie loszuwerden, als es war, sie zu stechen.” Sie hielt einen Augenblick inne und starrte Catti mit dem Stolz eines Falken ins Gesicht. “Gute Arbeit”, sagte sie zu ihnen, auch wenn sie den Blick nicht abwendete.
“Du da”, sagte sie dann, an Severn gewandt.
“Severn”, half Kaylin ihr aus.
“Severn, auf den Tisch.” So war sie Moran schon eher gewohnt. Wahrscheinlich hatte sie deshalb keine eigene Praxis. Ihre Flügel bogen sich nach unten.
“Sie meint es ernst”, flüsterte Kaylin ihm zu.
Severn ließ sich schwerfällig nieder.
Moran sorgte dafür, dass er sich freimachte, und bearbeitete ihn dann mit ihrer scharfen Zunge. “
So
bist du hier herumgelaufen?”
“Offensichtlich.”
“Er war früher ein Wolf”, sagte Kaylin, um sie abzulenken. “Er ist noch nicht lange bei den Falken, also ist er nicht daran gewöhnt –”
“Erspar mir das. Ich habe schon vor Ort mit Wölfen gearbeitet. Und mit Schwertern. Ihr Gesetzeshüter seid
alle
gleich.” Sie ging zurück zu ihren Schränken, griff nach Verbandszeug und etwas, was verdächtig nach Nadeln aussah, und kam zurück an den Tisch. “Das wird jetzt wahrscheinlich etwas wehtun”, sagte sie. Es klang nicht wie eine Entschuldigung. “Du hast Blut verloren, aber das weißt du wohl mittlerweile. Du hast genug Narben.”
Severn gelang, obwohl er flach auf dem Rücken lag, ein Schulterzucken. “Sie haben mich nicht umgebracht.”
“Das werden die hier auch nicht.”
Weil Kaylin Moran kannte, wusste sie, dass das gut war, auch wenn der Tonfall von Morans Stimme das nicht ganz vermitteln konnte. “Kann ich zusehen?”
Moran zuckte mit den Schultern, was für sie ein deutliches Ja war. Kaylin schnappte sich einen Hocker – Morans Flügel machten Stühle ein wenig unbequem – und zog ihn an Severns Seite. Sie zögerte einen Augenblick und nahm dann seine rechte Hand.
Sein Griff war nicht fest.
Es gab so viel zu
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