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Kaylin und das Reich des Schattens

Kaylin und das Reich des Schattens

Titel: Kaylin und das Reich des Schattens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Sagara
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nickte.
    “Was denkst du, Kaylin?”
    Es brauchte lange, ehe sie eine Antwort fand. “Nein.” Es klang wie ein Ja.
    Dieses Mal bewegte sich keine der lebendigen Statuen.
    “Du blutest nicht”, sagte er leise, als hätte sie nach einem Grund gefragt.
    Das steife Pokergesicht, das mächtige Barrani so gut wie nie ablegten, hatte ihr nie sonderlich gefallen – aber sie erwischte sich dabei, dass sie es selbst lernen wollte, und zwar bald. Wenn sie die Sprache lernen konnte, war auch alles andere möglich. Außer vielleicht ihre Anmut.
    Severn trat an ihre rechte Seite. Sie zwang sich, beim Gehen nicht nach seinem Arm zu greifen, und richtete ihren Blick in die Höhe.
    “Was wäre passiert, wenn ich beim ersten Mal im Kreis des Siegels geblieben wäre?” Ihre Worte hallten wider. Sie klangen dünn und verlassen, und sie hasste das.
    “Ich weiß es nicht”, antwortete Lord Nightshade. “Damals wollte ich das Risiko nicht eingehen.”
    “Und jetzt?”
    “Gibt es andere, größere Risiken.” Seine Schritte waren, im Gegensatz zu ihrer Stimme, schwer und bestimmt. Sie waren auf seinem Gebiet. Sie selbst war – und auch das nur knapp – sein Gast.
    “Du könntest mehr sein”, sagte er sanft.
    “Ich glaube, ich wäre lieber weniger.” In ihrer Stimme lag kein Trotz. Sie war gedämpft, jeder Trotz war ihr genommen, und voll von dem, was den Barrani am meisten verhasst war: Ehrlichkeit.
    Aber er lachte und überraschte sie damit. “Nicht einmal Verletzlichkeit”, entgegnete er, “steht nicht auf dem Spiel.”
    “Sie gehört nicht Euch”, sagte Severn kalt. Es gelang ihm, seine Worte nicht drohend klingen zu lassen, für Kaylin klangen sie wie eine einfache Aussage. Ein Fakt über das Wetter. Oder Erdkunde.
    “Und wo”, entgegnete Lord Nightshade, “wäre der Spaß dabei?” Er blieb vor den Türen stehen. Kaylin hätte schwören können, dass der Weg durch die Lange Halle diesmal viel kürzer gedauert hatte.
    “Du musst die Türen öffnen”, sagte er ihr.
    Sie zuckte zusammen. Doch sie blickte zu den Türen, und dieses Mal ließ ihr Falkenauge sie etwas anders aussehen. Zugegeben, sie hatte nicht viel Zeit damit verbracht, ihre Gesichter zu betrachten, schließlich hatte sie keine Augen im Hinterkopf.
    “Warum?”, fragte Severn.
    “Weil es wichtig ist, dass wir schnell sind”, war die kalte Antwort. “Severn, du bist hier ein Gast, und deshalb sei dir die Gastfreundschaft meiner Hallen gewährt. Du solltest nur nicht den Fehler begehen, Gastfreundschaft mit Toleranz zu verwechseln.”
    Die Narbe an seinem Kiefer trat hervor, aber Severn nickte stumm. Kaylin, die zwischen ihnen stand, bekam alles mit. Sie wendete sich an Severn. “Die Zeichen an der Tür. Sieh sie dir an.”
    “Sie sind wie die Zeichen auf deiner Haut.”
    Sie nickte. “Ich … glaube nicht, dass sie hier waren. Nicht, als ich sie das letzte Mal gesehen habe. Die Zeichen waren anders.” Sie hob ihre Handflächen, biss die Zähne zusammen und berührte die getäfelte Oberfläche.
    Sie spürte kein Kribbeln, sondern Feuer, und zog fast ihre Hände zurück. Doch das Feuer, das sie spürte, war nicht echt; es war nur ein Effekt der Magie.
    “Kaylin?”
    Sie schüttelte den Kopf. “Ich – es geht mir gut.” Doch ihre Hände waren taub, als die Türen sich langsam öffneten. Sie hatte nur den Schwung, sie zu öffnen, weil sie ihr ganzes Gewicht dagegenstemmte.
    Die Türen öffneten sich in den mit Runen geschmückten Raum. Es gab keine Bäume, keinen fesselnden Wald, keinen düsteren Himmel aus Baumkronen unter dem sie entlanggehen mussten. Nur Stein. Stein und Licht.
    Severn umfasste ihren rechten Arm auf fast die gleiche Art, wie Lord Nightshade ihren linken hielt. Die beiden hielten sie zwischen sich fest. Und dennoch war sie schon drei Schritte über die Schwelle getreten, ehe sie merkte, dass sie sich bewegte. “Kaylin”, sagte Severn, direkt in ihr Ohr. Seine Lippen berührten den Rand ihres Ohrläppchens. In dem einen Wort lag eine Warnung, aber auch Angst. Nichts davon für sich selbst.
    Sie konnte die Stimme des blauen Feuers hören und fragte sich, ob sie die Farbe des Feuers auch in einer anderen Farbe hören könnte, wenn sie als Magier ausgebildet wäre. Komischer Gedanke. Sie versuchte, sich von ihren Ankern zu lösen, und fast gelang es ihr auch.
    Die Decke war hell erleuchtet. Die fremden, uralten Worte schienen sich ineinander zu verschlingen, sodass sie wie brennendes Wasser aussahen. Wie ein Strudel,

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