Kaylin und das Reich des Schattens
Dolche und den Gürtel. Leicht waren sie nicht gerade.
“Der Quartiermeister flucht, bis ihm der Kopf platzt”, sagte sie beiläufig, “aber nicht wegen dir.”
“Ich war gar nicht da.”
Sie lachte.
Er runzelte die Stirn. “Kaylin?” Anscheinend war es das falsche Lachen gewesen.
“Ich habe nicht
nachgedacht
”, sagte sie. Die Worte quollen aus ihrem Mund, ehe sie – ja – darüber nachdenken konnte. “Wir haben Catti gerettet. Aber es ist noch nicht vorbei. Tiamaris glaubt –”
“Sie müssen ein anderes Opfer finden.”
Sie nickte verbittert. “Heute noch.”
“Von heute ist nicht mehr viel übrig.”
“Noch scheint die Sonne.”
“Brauchen sie die?”
“Die Sonne? Woher verdammt noch mal soll ich das wissen?” Sie atmete tief durch. “Tiamaris wartet auf uns.”
“Wohin in Nightshade gehen wir genau?”
“Ich
weiß es nicht
. Ich – was ich getan habe, um Catti zu finden, kann ich für niemanden sonst tun. Und es wird
irgendwen
geben, Severn. Ich –”
Moran öffnete ihre geschürzten Lippen. Sie trat zu Severn und half ihm in seine Ausrüstung. Aus ihrem Giftschrank brachte sie ein kleines Glas, in dem eine Flüssigkeit herumschwappte. Sie starrte Severn unverwandt an, bis er den Mund öffnete, hob den Deckel, verzog das Gesicht, als ihr der Geruch in die Nase stieg, und goss eine große Portion der Flüssigkeit in Severns Mund.
Der würgte, aber schluckte.
Sie schloss den Deckel wieder. Ihr Stirnrunzeln wirkte wie gemeißelt. “Kaylin.”
“Moran?”
“Bring alles, was von ihm übrig ist, gleich wieder her, verstanden?”
Tiamaris schloss sich ihnen auf den Stufen der Halle an. Sie sah seinen Rücken zuerst; er blickte in Richtung der Kolonien, die Hand über die Augen gelegt. Die Sonne senkte sich gen Horizont.
Er setzte sich in Bewegung, als sie bei ihm ankamen, und weder Severn noch Kaylin hatten viel zu sagen. Sie durchquerten die Straßen laufend und schepperten dabei wie Blechdosen. Na ja, Severn tat das. Zum Glück war es nicht nötig, dass sie sich ruhig verhielten.
Sie alle trugen das Emblem der Falken. Wäre Zeit zum Nachdenken geblieben, hätten sie es abgelegt – aber für so etwas Unwichtiges wie ihre Kleidung wurde sich nicht noch einmal umgedreht. Und es war bezeichnend für den ganzen Tag, dass sie unwichtig war. Kaylin blieb am Fuß der Brücke stehen und starrte in das fließende Wasser des Ablayne, als könne sie darin lesen. Sie löste ihre Haare, nahm sie straffer zusammen und drehte sie zu einem fast schmerzhaft festen Knoten. Dabei legte sie so viel von ihrem Gesicht frei, wie sie konnte. Sie schob einen Stab durch die Mitte des Knotens, um ihn zu sichern.
“Wenn Magier tatsächlich einen Nutzen hätten”, sagte sie, als sie sich vom Wasser abwandte und auf die Kolonie zudrehte, “würden sie Haarklammern erfinden, die tatsächlich
halten
.”
Severn sagte nichts. Er ließ sich nicht so leicht hinters Licht führen. Er starrte das Symbol von Nightshade auf ihrer nach oben gestreckten Wange an.
“Gehen wir”, sagte sie leise.
“Irgendwohin besonderes?”
“Nightshades Burg.”
Er verzog das Gesicht. Doch Tiamaris, immer noch stumm, nickte.
Wie immer standen Wachen vor dem Tor. Kaylin ging direkt an ihnen vorbei, und sie wurde wortlos durchgelassen – Severn und Tiamaris allerdings verstellten sie den Weg. Kaylin knirschte fast mit den Zähnen vor Enttäuschung und machte auf dem Absatz kehrt.
“Wir haben keine Zeit für so was”, fuhr sie die Wachen an. Alles in allem gab sie eine gute Vorstellung eines verärgerten Leontiners. “Ich gehe zu Lord Nightshade, und die beiden kommen mit mir mit.
Sofort.”
Eine der Wachen hob fast spöttisch eine Augenbraue. Der andere trat einen Schritt zurück und auf das Portal zu, das nur zufällig wie ein Fallgatter aussah. Er verschwand.
Kaylin unterdrückte den Drang, den anderen Wachposten zu erstechen, wenn auch größtenteils nur, weil das auch nichts bringen würde. Nur darum. Das wusste er, und es amüsierte ihn. Aber Tiamaris beanspruchte den größten Teil seiner Aufmerksamkeit, sie selbst war nur ein nachträglicher Gedanke. Severn fasste seine Waffen nicht an.
Der Wachposten kam zurück und verständigte mit einer Geste seinen Partner, der daraufhin sein Schwert senkte.
“Auf Befehl unseres Herren”, sagte er und betonte dabei jedes Wort, “heißen wir Euch in der Burg Nightshade willkommen.”
Kaylin kämpfte sich durch die Dunkelheit wie durch eine zähflüssige
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