Kaylin und das Reich des Schattens
viel Erfolg hattest”, entgegnete der Falkenlord, “bin ich geneigt, dich zurück in den Dienst zu erheben. Ja”, fügte er leise hinzu, “wenn es Antworten gibt, dann nur in Nightshade.
Ehe ihr geht”, fuhr Lord Grammayre fort, “möchte ich euch beide allerdings noch etwas fragen.”
Kaylin sah auf. Sah auf alles, was nicht der Kreis in der Mitte des Turmes war.
“Lord Grammayre?”
“Die Lesung der Tha’alani wurde selbstverständlich gut gehandhabt. Wir haben durch sie Details erfahren, die uns andererseits nicht zugekommen wären – besonders, wie die Zeichen aufgebracht werden – und wie die Angreifer der Findelhalle entkommen sind.”
“Keine gute Art zu reisen, wenn man das Feuer betrachtet, das die hinterlassen haben, Grammayre.”
“Nein, das ist es wirklich nicht. Das ist auch nicht die Frage. Catti wusste, dass ihr gekommen seid, weil ihr eine Menge … Lärm gemacht habt.”
Tiamaris nickte.
“Sie konnte allerdings nicht sagen,
wie
ihr angekommen seid.”
“Nein.”
“Kaylin, die Lords der Gesetze haben den Wachturm versiegelt, und er wird gerade von den Gesandten des Kaisers untersucht. Es scheint, als wäre ein großes Loch in die äußere tragende Mauer gerissen worden.”
Sie krümmte sich.
“Du hattest einen Befehl. Wo ist die Armschiene?”
“Ich bin mir nicht sicher.”
“Verstehe.”
“Lord Grammayre, ich übernehme die volle Verantwortung für mein Einmischen. Sie konnte Catti nicht lokalisieren, solange sie die Schiene trug.”
“Sie hätte auch die Außenwand nicht zerstören können.”
Schweigen. Kaylin sah in das vollkommen unbewegte Gesicht des Drachen und war überrascht. Tiamaris hatte die Zerstörung der Mauer nicht erwähnt.
Aber Lord Grammayre war eben der Falkenlord. “Kaylin.”
“Es geht mir gut.”
“Das allein ist schon Grund zur Sorge. Ich habe die Mauer gesehen”, fügte er leise hinzu, “und nur sehr, sehr wenige haben die Macht, eine solche Wand zu zerstören.”
Sie sagte nichts. Aber sie hatte schon immer jeden Schweigewettbewerb verloren. “Ich war nicht außer Kontrolle.”
“Nein.” Er zögerte. “Aber selbst wenn, noch vor einem Jahr hättest du die Auswirkungen gespürt.”
“Ich spüre sie ja, ich will nur nicht –”
Er hob eine Hand. “In dir liegt große Macht”, sagte er, “und sie wächst ständig. Nimm dich in Acht, Kaylin. Wenn du die Armschiene findest, leg sie an. Deine Gefühle sind zu sehr in die Sache verstrickt.” Er streckte seine Flügel aus. “Wenn die Zeit nicht so knapp wäre, würde ich dich hierbehalten. Aber das käme uns, denke ich, teuer zu stehen. Geh. Nimm Severn mit, falls du Moran dazu bringen kannst, ihn zu entlassen.”
Sie zögerte. Etwas, das Tiamaris gesagt hatte, hatte sich erst nach einigen Minuten in ihr Bewusstsein gedrängt. “Tiamaris?”
Sein Blick war verhängt und undurchsichtig.
“Du hast gesagt, sie konnten sie nicht umbringen, weil der Zeitpunkt nicht stimmte?”
Er schwieg.
“Und der richtige Zeitpunkt ist
heute
.”
Es war der Falkenlord, der daraufhin nickte. In seinen dunklen Augen lag so etwas wie Mitgefühl. Und Wut. “Flieg”, sagte er leise zu ihr.
18. KAPITEL
M oran blickte auf, als Kaylin den Krankenflügel betrat. Ihre Brauen zogen sich zusammen, und ihre Stirn legte sich in ihre typischen Falten. “Was war an zwei Tagen Ruhe so schwer zu verstehen?”
Severn setzte sich auf, was die Falten um Morans Mund noch vertiefte. Er begann einen Namen auszusprechen und verstummte; es war nicht Kaylin.
“Wir haben keine zwei Tage Zeit”, sagte Kaylin zu der Sanitäterin. “Wenn wir Glück haben, bleiben uns zwei Stunden.” Und sie hatte schon Stunden verschwendet.
Severn setzte sich auf und schwang beide Beine aus dem Bett.
“Er wird nicht in bester Form sein”, sagte Moran. Ihre Stimme veränderte sich leicht, und ihre merkwürdig gefleckten Flügel zuckten an ihrem Rücken. Für Moran war das fast ein Wunder.
“Wie viel von seiner Form musste er einbüßen?”
Die Flügel der Heilerin zuckten wieder. Kaylin zuckte ebenfalls zusammen. Aber sie konnte sich nicht dazu bringen, ihm zu sagen, er solle sich wieder hinlegen. Und vor nur einem kurzen Tag? Wäre sie wahrscheinlich gar nicht gekommen.
“Nightshade?”, fragte Severn, während er zusammensammelte, was von seiner Kleidung übrig war. Es sah nicht gut aus. “Wo sind meine Waffen?”
Morans linker Flügel deutete in eine Ecke, und Kaylin holte Severns Schwert, seine Kette, vier
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