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Kaylin und das Reich des Schattens

Kaylin und das Reich des Schattens

Titel: Kaylin und das Reich des Schattens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Sagara
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hatte die gleiche Wirkung. Sie waren sich ebenbürtig.
    Das wusste sie.
    Und dann ließ sie selbst dieses Bewusstsein ziehen und ließ sich von der Dunkelheit einnehmen. Ließ sich von der Dunkelheit holen, das war schließlich das Gleiche.
    Doch in die Dunkelheit drang Licht, wie ein drittes Schwert, wie ein Argument, das sie bisher nicht bedacht hatte, wie eine andere Art, den Tod zu betrachten. Es war ein goldenes Licht, durchbrochen von Scherben verschiedener Farben, blendend hell im Kontrast zu den Dingen, die sie hatte sehen wollen.
    Sie hörte Worte, andere Worte, dünn und gesprochen; erkannte – knapp – die Stimme, die sie sprach, aber Severn hätte sie überall erkannt.
    Kaylin
, sagte er, aus großer Ferne, dem neuen Licht folgend,
du bringst sie um – du bringst die Kinder um.
    Nein!
Sie wollte die Worte schreien, aber die Sprache stimmte nicht, sie war stumm.
Du hast sie umgebracht! Du, nicht ich!
    Sie schloss ihre Hände, ballte sie zu Fäusten. In der Ferne hörte sie das Brechen von hundert Knochen, alle auf einmal. Keine Schreie, das bedauerte sie. Nächstes Mal würde sie es besser machen.
    Doch die Stimme sprach weiter, es war nicht Severn, den sie umgebracht hatte. Immer noch nicht. Nie. Wie brachte man eine Erinnerung um?
    Sie kämpfte, mit der Dunkelheit, mit den Worten. Sah, wie der Drache sich zurückzog, und wollte ihm folgen, wenn auch nur mit Macht, mit Symbolen, mit Worten. Das konnte sie jetzt.
    Doch etwas hielt sie zurück. Einige Worte, etwas, was Severn gesagt hatte, drangen jetzt in ihr Bewusstsein – und sie merkte auch, wie ihre Wut langsam verging.
    Es war fast vorbei. Der Falkenlord würde wütend sein.
    Komisch, dass das ihr erster Gedanke war. Komisch und demütigend.
    Und dann traf das Licht ihren ausgestreckten Arm, und sie hatte genug Zeit, zu erkennen, für was es stand; sie hatte es irgendwie zu etwas Abstraktem gemacht, es vergessen.
    Es war die Armschiene. Sie konnte die Hände, die sie trugen, nicht sehen, aber sie
wusste
, dass es Severns waren. Die Armschiene legte sich um ihr Handgelenk, und wo sie von ihr berührt wurde, erwartete sie, Feuer zu spüren. Stattdessen fühlte sie angenehme Kühle und ein vertrautes Gewicht. Nur einen Augenblick wehrte sie sich dagegen, aber in ihrer Erinnerung lagen Dinge verborgen, die keine Bilder brauchten, um sich zusammenzuballen.
    Lichter begannen zu tanzen. Blau, blau, rot, blau, weiß, weiß.
    Sie hörte das Klicken des goldenen Käfigs und spürte seine unsichtbaren Gitter auf sie hinabsinken. Schwarze Schatten waberten zwischen diesen Gitterstangen, suchten einen Ausgang, berührten das Licht, krümmten sich zurück und weiter zurück und senkten sich wie aus großer Höhe auf ihre Haut.
    Sie stolperte, als die antike Armschiene, die Geschenk und Last zugleich war, und die ihr der Falkenlord gegeben hatte, sie ihr Gewicht und ihre Anwesenheit spüren ließ. Der Nebel über ihrem Blick hob sich langsam, und mit dem Fortgang der Schatten und der schwarzen Nacht verließ sie auch ihre Kraft. Sie fiel auf die Knie – oder sie hätte es getan – hätte nicht Severn sie aufgefangen, ehe sie den Boden berühren konnte.
    Berühren, was davon übrig war. An vielen Stellen lag nur noch zersplitterter Stein, und wo die Pflastersteine angehoben oder zerbrochen waren, war der Boden darunter rot und fast flüssig. Severn hob sie hoch. Sie wollte sich wehren, aber die Bewegung ihrer Lippen machte kein Geräusch.
    Er drückte sie gegen seine Brust. Sie fühlte sein Kinn auf ihrem Kopf, spürte das Heben und Senken seiner Brust und den Atem, der seinen leicht geöffneten Mund verließ, als er ihn an ihre Haare presste.
    Ihre Augen wurden wieder ganz klar, die Wirklichkeit kehrte zu ihr zurück, und mit ihr die Worte, die sie im Herzen der Kolonie Nightshade gelernt hatte. Worte, die sie nicht sprechen konnte. Darauf folgte Sorge, plötzlich und scharf, und dahinter, und viel stärker, der metallische Geschmack der Angst. Sie griff nach Severns Umhang, sah den zerfetzten Falken unter ihren Fingern und packte zu.
    “Severn –”
    “Sie sind in Sicherheit”, sagte er leise zu ihr. Seine Stimme war dünn. Sie fragte sich, ob er jetzt immer so klingen würde; der Donner in ihren Ohren war eine eigene Art Taubheit. Sie sah sich den Innenhof an, der im verklingenden Sonnenlicht lag, und sah, dass die Leichen der Barrani auf den Steinen verstreut lagen.
    Und runzelte die Stirn. “Der Drache –”
    “Er ist fort, Kaylin.”
    “Du hast

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