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Kaylin und das Reich des Schattens

Kaylin und das Reich des Schattens

Titel: Kaylin und das Reich des Schattens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Sagara
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dass sie es nicht konnte. Sie war aber schon immer praktisch veranlagt gewesen, und an ihrem Verstand zu zweifeln war zu Zeiten wie diesen alles andere als pragmatisch.
    “Du sprichst von einer Wahl”, sagte sie. Severn war vor dem Kiefer des Drachen in Sicherheit und knapp auch vor seinen Klauen. Falls der Drache Severn überhaupt bemerkte, ließ er es sich nicht anmerken, und Severn trat … zurück. Die Dunkelheit verschluckte ihn, aber sie konnte noch das Surren seiner Kette hören; auch was sie nicht sah, existierte noch.
    “Doch den Toten bleibt keine.”
    Seine Augen glitzerten, riesige Augen, vor dem Glanz von erstaunlichem Schwarz. “Du sprichst von meinen Dienern.”
    Sie sagte nichts.
    Er lachte leise. Sein Lachen war Feuer und Schmerz. “Sie haben mir ihre Namen überlassen”, sagte er leise zu ihr, “und im Austausch erhielten sie
Macht
. Für ihre Freiheit. Haben sie Macht erhalten”, erklärte er.
    “Und du?”
    “Ich gebe nichts her.” Er streckte eine Hand aus. Sie konnte seine Finger sehen, als wären sie die Seele seiner Klauen, klein und durchsichtig, aber irgendwie immer noch vorhanden. Die Barrani mochten tot sein, der Drache war es nicht.
    Noch nicht.
    “Du warst eine Bedrohung”, fuhr der Drache fort, “und zugleich ein Geschenk. Aber noch nicht. Noch nicht.” Und plötzlich sprang er auf sie zu, machte einen Satz nach vorn, hob und schloss seine Flügel, deren Spitzen sich gegen die Steine pressten, die sie gefangen hielten.
    Sie sprang zur Seite, als sie auf sie hinabstürzten. Splitter brachen die Sohlen ihrer Stiefel und schnitten Löcher in den perfekten Stoff ihrer Tunika und ihrer Hosen. Sie verzog das Gesicht. Sie hatte so etwas schon mal durchgemacht, und es hatte ihr schon beim ersten Mal nicht gefallen.
    Der Drache streckte sich nach dem Kind, das sich auf dem Altar wehrte, und sie merkte, dass Severn – schon wieder – seine Arbeit erledigt hatte, seine Wahl getroffen. Er stand auf dem Opferstein, die Füße an den Seiten des jungen Opfers, seine Kette eine Wand, gegen die sich die Barrani wieder und wieder auflehnten, während sie versuchten, die Zeit zu schinden, die sie brauchten, um zu vollenden, was sie begonnen hatten.
    Kaylin.
    Wieder Nightshades Stimme. Kein Befehl, keine Frage, keine Warnung verzerrte ihren Namen. Es war einfach ein Wort, ein Verbund aus zwei Silben. Ein Anker. Sie hielt ihn fest, hielt sich daran fest, als sie sich vorwärtsstürzte und von Dunkelheit zu träumen begann. Der Traum hüllte sie in sich ein. Als der Drache sich aufbäumte, als seine ebenholzfarbenen Klauen sich ausfuhren, sprang sie zwischen Severn und den Tod. Ihre Dolche hatte sie vergessen, als sie beide Handflächen hob. Unter dem dünnen, zerrissenen Schutz aus schwarzer Seide erwachten Symbole zum Leben. Sie krochen ihre Handrücken hinauf wie etwas Lebendiges. Sie hatte vorher nie von ihnen als Sprache gedacht. Hatte von Sprache nie als etwas gedacht, das entweder lebendig oder tot war; es war, wie Gehen, etwas, an das sie selten dachte, es sei denn, sie war im Kreuzverhör von Rechtsbarrani gefangen, dann war es um einiges anstrengender, nicht zu denken.
    Der Drache war nicht auf gleiche Art gesegnet.
    Während die Symbole sich veränderten, spürte sie ihr plötzliches Gewicht auf den Ballen ihrer offenen Handflächen. Feuer war jetzt schwarz, es würde immer schwarz sein. Es nahm ihr gesamtes Blickfeld ein, und sie ließ es zu, weil die Alternative der unnatürliche Glanz der Drachenzähne war, der Drachenschuppen, des Drachenkiefers. Sie war den ganzen Weg gekommen, um etwas zu tun.
    Aber sie hatte es vergessen, was auch immer es gewesen war, selbst die Erinnerung an Severn wurde blasser und verging, als sie sich endlich ihrer unerklärlichen Wut überließ. Es lag Freude in ihrer Wut und Bosheit und – ja – auch die Lust, Schmerz und Leid zu bereiten. Oder zu teilen.
    Sie sprach die Worte. Ihre Lippen formten die Silben, die für ihre Ohren keinen Sinn ergaben, die ihre Kehle verkrampften, die ihre Lippen verdrehten und die Form ihres Gesichts veränderten, als wären ihr im Sprechen Kiefer gewachsen, die ebenso tödlich waren wie die des Drachen.
    Diese Kiefer schnappten über den hallenden, nachklingenden Enden der alten Silben zusammen, und das Gold der Drachenaugen, das Rot der Drachenaugen, wurde zu einer Farbe, die sie nie vorher gesehen hatte: Weiß, Milch und Elfenbein, und ohne die schlitzförmige Pupille in ihrer Mitte. Sie hörte den Drachen

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