Kaylin und das Reich des Schattens
mich nicht irre, wurde sie in den Kolonien geboren.” Er wendete sich wieder zu ihr um.
“Ich – ich diene – dem Falkenlord. Lord Grammayre. Ebenso Tiamaris.”
“Wirklich?”
“Ich habe ihm meine Dienste angeboten”, sagte Tiamaris leise, “und sie wurden akzeptiert. Während ich hier bin, handele ich in seinem Namen.”
Dann überraschte der Koloniallord Kaylin. Er lachte. Es war ein volles, angenehmes Geräusch, und darin lag sowohl seine Belustigung als auch etwas anderes, für das sie keinen Namen fand. “Die Zeiten haben sich geändert, Tiamaris, wenn du einem anderen deine Dienste antragen kannst.”
“Ich habe schon immer einem anderen gedient”, war die kalte Antwort.
Kaylin hatte noch nie gesehen, wie ein Drache kämpft. Sie hatte das ungute Gefühl, dass sie kurz davor war. Die Wachen hatten Severn vergessen, hatten sie selbst vergessen, wurden von Tiamaris angezogen, als sei er die einzige wirkliche Gefahr im Raum. Das war nur fair. Weil es stimmte.
Der Koloniallord jedoch hob nur eine Hand, und die Barrani hinter ihm erstarrten. Sie kannte nur die stumme Sprache der Diebe und erkannte nichts davon in den Gesten des Koloniallords. Seine Wachen kannten ihn gut genug, um zu wissen, dass diese Geste ein Befehl war.
“Es ist seltsam”, sagte der Koloniallord leise. “Ich kenne euch beide, Euch, Tiamaris, und den jungen Mann, der von den Seinen Severn gerufen wird. Aber das Mädchen? Sie ist der Kernpunkt der Geschehnisse, und ich bin ihr noch nie begegnet.” Dann streckte er seine Hand aus.
Sie starrte sie an.
“Lass sie in Ruhe”, sagte Tiamaris, und seine sanfte Stimme war auf einmal lauter als die von Marcus, wenn er nicht mehr wütender werden konnte.
“Ich will ihr keinen Schaden zufügen”, entgegnete der Koloniallord. Er hatte den ganzen Smaragdglanz seiner Augen wieder auf sie gerichtet, und sie konnte nicht anders, als seinen Worten zu glauben. “Und ich habe vor, den Bewohnern meines Bezirks deutlich zu machen, dass ich ebenso wenig will, dass sie ihr schaden. Wollt Ihr mir widersprechen?”
“Ich werde nicht zulassen, dass Ihr sie zeichnet.”
Der Koloniallord antwortete sehr leise: “Sie ist bereits gezeichnet, Tiamaris.”
Darauf wusste der Drache keine Antwort.
Was schade war, denn dann hätte sie vielleicht verstehen können, was die Worte des Koloniallords bedeuteten. Sie starrte seine Hand an, er bewegte sie nicht. Nach einem Augenblick wurde ihr klar, dass er wollte, dass sie seine Hand
nahm.
“Geduld zählt nicht zu meinen Stärken”, sagte der Koloniallord, als er merkte, dass sie das nicht vorhatte. “Und ich habe nur wenig Zeit zur Verfügung. Ihr seid natürlich wegen der Opfer hier. Und es liegt auch in meinem Interesse, dass ihnen ein Ende bereitet wird.”
Sie starrte immer noch. Sie hätte vielleicht wie versteinert weitergestarrt, hätte Severn nicht knapp “Nimm seine Hand” gesagt.
Ihre Finger berührten die Handfläche des Koloniallords, und er schloss seine Hand um ihre.
Magie fuhr ihren Arm hinauf. Ihren rechten Arm. Sie war steif vor Schreck, und sie war wütend. Sie versuchte, sich loszumachen, aber es überraschte sie nicht, als es ihr nicht gelang.
“Was habt Ihr –”
“Schweig.”
Sie konnte spüren, wie die Magie ihre Schulter hinaufkroch, scharf, leicht und unsichtbar. Sie
hasste
Magie. Aber sie biss auf ihre Unterlippe und wartete. Sie hatte sich bereits verpflichtet.
Severn fluchte.
Tiamaris hob seine Augenbrauen. “Lord Nightshade”, setzte er an, aber er beendete seinen Satz nicht.
Die Magie brach durch ihre Haut und strich suchend durch die Luft, als sei sie lebendig. Sie konnte sie sehen. Nach den Gesichtern ihrer Begleiter konnten das alle. Die Magie wand sich ein kurzes Stück über ihr und fügte sich dann in eine blaue, funkelnde Form, die sich wie ein Schutzschild um sie herumlegte.
Kaylin berührte ihre Wange genau dort, wo der Koloniallord es getan hatte. Für sie war es eine Lektion, die sie nicht wieder vergessen würde: Er tat nichts ohne Grund.
“Du trägst mein Zeichen”, sagte er ruhig. “Und in dieser Kolonie wird es dir ein gewisses Maß an Schutz bieten.” Er hielt einen Augenblick inne. “Hier ist immer noch eine Kolonie. Das Zeichen wird dich nicht vor allem schützen. Die Dummheit der Sterblichen kennt keine Grenzen. Aber für den Fall, dass dir jemand Schaden zufügen will, der nicht in meinem Sinne handelt, wird derjenige bezahlen.”
Dann ließ er ihre Hand los. “Kommt
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