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Kaylin und das Reich des Schattens

Kaylin und das Reich des Schattens

Titel: Kaylin und das Reich des Schattens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Sagara
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die meisten Dinge, die etwas bedeuteten.
    “Es gibt hier kein Sonnenlicht”, sagte er zu ihr, als würde das einen Sinn ergeben. “Aber, ausgestoßen oder nicht, ich bin immer noch ein Lord der Barrani – sie wachsen, weil ich es will.”
    “Und wenn Ihr sie nicht mehr wollt?”
    Er hob eine Hand. Der Baum vor seinen Fingerspitzen begann zu verdorren und wand sich auf dem Boden, fast, als wolle er um sein Leben betteln. Sie unterdrückte einen Aufschrei. Es war nur eine Pflanze.
    Aber sie fragte ihn nichts mehr. Und sie behielt ihr Staunen für sich, sah sich nur um, berührte nichts mehr. Er hatte sie auf die subtile Art der Barrani gewarnt. Sie hatte es gemerkt.
    “Wo gehen wir hin?”
    “In das Herz dieses Waldes”, antwortete er. “Fühle dich geehrt. Nicht einmal mein Eigen hat es gesehen.”
    “Eure Kinder?”
    Er zog seine Brauen zusammen. “Bist du wirklich so unwissend, Kaylin?”
    “Scheint so.”
    Seine Hand schloss sich fester. Es war nicht angenehm. Noch eine Warnung. Aber er entschied sich, nicht mehr als das zu tun, und nach einem Augenblick tat er etwas, das sie überraschte. Er antwortete. “Ich habe keine Kinder. Ich bin ausgestoßen.”
    Ausgestoßen war ein Wort, das auch für Kaylin etwas bedeutete, wenn auch ehrlich gesagt nicht viel. Auch wenn ein menschlicher Lord als Kastenherrscher für ihre Art diente, galten die komplizierten Regeln der Kasten nicht für das gemeine Fußvolk. Und deshalb ganz bestimmt nicht für die Armen und Bettler, die sich in den Kolonien irgendwie durchschlugen – oder eben nicht. Die Leontiner, die Aerianer, die Menschen – alles sterbliche Rassen – waren nicht auf die gleiche Art wie die Unsterblichen vom Kastensystem bestimmt. Sie waren zahlreicher, und sie lebten überall, von den tiefsten Gossen bis zu den höchsten Türmen. Bei den Barrani war das anders.
    “Ich sprach einfach von den Meinen, denen, die sich mir angeschlossen haben. Der Wald spricht zu ihnen, aber er spricht eine Sprache, die in ihren Ohren … nicht angenehm klingt. Sie wollen nicht hören, deshalb bleiben sie. Und ich will sie nicht gehen lassen.
    Ich lasse nichts gehen, das mir gehört.”
    Sie sagte eine Weile lang überhaupt nichts. So lange, bis die Stille ungemütlich wurde. Nicht peinlich, peinlich war ein zu gewöhnliches Wort. “Habt Ihr das hier gebaut?”
    “Den Wald?”
    “Die … Langen Hallen.”
    “Nein.”
    “Die Burg?”
    “Nein. Ich habe sie mit den Jahren verändert, aber nur sehr wenig, um ehrlich zu sein. Sie stand schon hier, bereit, eingenommen zu werden.” Sein Lächeln war dünn. “Ich war durchaus nicht der Erste, der es versucht hat. Nur der Erste, dem es gelungen ist.”
    “Es gab noch andere Bewohner?”
    “Es gab eine Abwehr”, antwortete er. “Und ich vergesse mich. Du stellst zu viele Fragen.”
    “Fragen werden bei den Falken gern gesehen. Wenn sie nicht dumm sind.”
    “Tatsächlich. Hier ist das anders. Die Antworten könnten tödlich sein.” Er blieb vor einem dichten Ring aus Bäumen stehen. Ihre Zweige schienen sich überall ineinander zu verweben, als wären sie absichtlich zusammengewachsen. Ihr gefiel nicht, wie sie aussahen. Aber andererseits gefiel ihr gerade auch nicht, wie sie selbst aussah. Was sie davon sehen konnte jedenfalls. Das Kleid, die merkwürdigen Schuhe, und die breiten schwarzen Zeichen auf ihren Armen. Sie verschränkte sie hinter dem Rücken.
    An einem hing seine Hand. “Du verstehst die Zeichen, die du trägst, nicht”, sagte er ein wenig zu nahe an ihrem Ohr.
    “Und Ihr tut das?”
    “Nein, nicht vollständig. Aber ich verstehe etwas von ihrer Bedeutung. Um die Wahrheit zu sagen, wundert es mich, dass du noch am Leben bist.”
    “Warum?”
    Er lächelte, doch er antwortete nicht. Stattdessen hob er seine Hand und berührte die Bäume, die ihnen den Weg versperrten. Sie bebten. Es lag etwas Furchtbares in diesem Beben, etwas, das so falsch aussah, dass sie sich abwenden musste. Es war, als gingen von den Bäumen stumme Schreie aus.
    Aber sie teilten sich. Wie Vorhänge, wie große Rolltore entwirrten sich ihre Zweige und glitten ihre Stämme auseinander. Unter ihren Füßen bewegten sich die Wurzeln – oder etwas anderes. Sie wäre wirklich gerne weniger aufmerksam.
    “Komm”, sagte er, als genug Platz war, um hindurchzugehen.
    Ihre Hände wanderten zu ihren Hüften, aber sie griffen ins Leere. Natürlich, ihre Dolche waren nicht bei ihr. Aber der Wunsch nach ihnen, der Greifreflex, war immer

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