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Kaylin und das Reich des Schattens

Kaylin und das Reich des Schattens

Titel: Kaylin und das Reich des Schattens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Sagara
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noch Teil von ihr. Und er wurde immer stärker.
    “Nichts hier wird dir Leid zufügen”, sagte er ohne zu lächeln. “Du trägst mein Zeichen. Du bist in meinem Reich.”
    Ich habe mehr als mein halbes Leben in deiner Kolonie verbracht, und es ist nie sicher gewesen.
Aber sie sagte nichts. Das fiel ihr schwer.
    Die Bäume waren nicht so groß, wie sie ihr zunächst erschienen waren. Die Dunkelheit ihrer Äste hob sich über sie wie ein Dach oder ein Segel, aber sie streckte sich nur kaum zwei Meter, dann war sie verschwunden.
    Sie standen in einem großen steinernen Raum unter dem äußeren Rand einer gewölbten Decke, von der ein helles grünes Licht ausging. Und als sie auf die Mitte des Raumes zugingen, wurde das Licht heller und änderte seinen Ton. Sie sah hoch, sie konnte nicht anders.
    Über ihr waren Rillen in den glatten harten Stein gemeißelt, die ein Muster formten, das ihr gleichzeitig vertraut und fremd war. Sie hob eine Hand. Einen Arm.
    “Ja”, sagte der Koloniallord ruhig. “Es ist die gleiche Sprache wie die Zeichen, die du trägst. Man nennt sie die Sprache der Alten.”
    “Ich – ich verstehe das nicht.”
    “Niemand tut das. Es gibt keine lebendige Kreatur mehr auf Erden, die alles lesen kann, was hier geschrieben steht. Aber ich habe noch nie gesehen, wie die Schrift auf diese Art leuchtet. Ich glaube, der Raum weiß, dass du hier bist.”
    “Aber wer – oder was – sind diese Alten?”
    Sein Stirnrunzeln war kurz, aber heftig. Doch dann überraschte er sie wieder mit einer Antwort. “Einst”, sagte er leise, “hätte man sie für Götter gehalten.”
    “Aber die Götter –”
    Der reine Hohn lag in dem kalten Ausdruck, der nach ihren Worten auf sein Gesicht trat. “Sterbliche Götter?” Er zuckte mit den Schultern. “Die Götter der Sterblichen
sind
sterblich. Sie existieren, solange ihr ihnen Aufmerksamkeit schenkt, und eure Aufmerksamkeitsspannen sind kurz.”
    Der Raum gefiel ihr nicht. Er ging weiter, sie blieb stehen. Doch obwohl er feingliedrig gebaut war, zog er sie hinter sich her. Ihre Füße schleiften auf den Steinen. Ihre Würde befahl ihr, zu folgen, besonders wenn man bedachte, wie wenig ihr davon noch geblieben war.
    Dann vergaß sie die Decke.
    Der Boden selbst war lebendig. Wohin sie auch trat schien Licht zu wabern wie weicher Schlamm, und darin leuchteten Linien, verschwommene Kreise, Muster.
    “Hier”, sagte er leise und blieb stehen. “Geh nicht weiter, Kaylin. Und fass
nichts
an, wenn dir dein Leben lieb ist.”
    Wenn ihr Leben ihr lieb wäre, hätte sie die Kolonien nie betreten. Sie nickte.
    In der Mitte des Raumes, von saphirblauem Licht gegen den Boden abgezeichnet, war ein großer Kreis. Es überraschte sie kaum, als sie die Schrift darin entdeckte. Natürlich konnte sie nicht lesen, was dort stand, es war fast die gleiche Schrift, die auch hoch über ihrem Kopf eingemeißelt war. Aber sie war doch anders. Sie schien sich zu
bewegen
.
    “Dies ist das Siegel der Alten”, sagte er leise, “und von ihm geht die Macht aus, die die Burg gegen Eindringlinge verteidigt hat.” Gegen, dachte sie bei sich, den Koloniallord selbst.
    Sie starrte das Siegel an. Die Schrift schien irgendwie schärfer zu werden. Licht blitzte auf, wie aus blauem Feuer, und erhob sich immer höher über die Muster, von denen es ausging. Sie sah zu, wie es sich zur Decke emporstreckte. Sah zu und vergaß zu atmen, als das Licht von der Decke hinabzutropfen begann.
    Als sich die beiden Lichter berührten, schrie sie erst vor Schreck auf, dann vor Schmerz. Ihre Arme brannten wie Feuer.
    “Bleib, wo du bist”, sagte der Koloniallord, doch seine Stimme schien aus der Ferne zu kommen – und sich immer weiter zu entfernen. Sie streckte fast panisch ihre Hand nach ihm aus und schämte sich sofort für ihre Reaktion.
    Vor langer Zeit hätte sie sich so nach Severn ausgestreckt. Und dafür hatte sie bereits bezahlt. Sie ballte ihre Finger zu einer Faust.
    “Kaylin,
bleib, wo du bist
.”
    Ihre Zunge war schwer, zu schwer, um zu sprechen. Sie wollte ihm sagen, dass sie ja verdammt noch mal stehen blieb, aber sie konnte es nicht, und wahrscheinlich war das gut so.
    Das Licht bildete jetzt eine Säule.
    Sie konnte es spüren, nur ein kurzes Stück von ihrem Gesicht und ihrer Hand entfernt. Ihre Hand bewegte sich mit zuckenden Fingern darauf zu, als würde sie davon angezogen. Sie war schon einmal gefallen, und die Höhe hatte ausgereicht, um sie zu der Überzeugung zu bringen, dass

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