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Kaylin und das Reich des Schattens

Kaylin und das Reich des Schattens

Titel: Kaylin und das Reich des Schattens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Sagara
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so stark wie früher. Aber er mochte Kinder.
    Er entspannte sich sichtbar. Schlechtes Zeichen.
    “Marrin?”
    “Sie wartet in der Empfangshalle auf dich”, sagte er. Er hatte fast keine Haare mehr, und was ihm blieb, durchfuhr er mit zitternden Händen. “Ich –”
    “Egal. Was ist passiert?”
    “Es ist Catti.” Trotz ihres Namens war Catti ein menschliches Waisenkind. So wie alle anderen Kinder in den Findelhallen. Leontiner und Aerianer waren weniger zahlreich als Menschen, und viel zäher. Sie ließen kaum einmal Kinder zurück. Und wenn doch? Nahm sich jemand ihrer an. Tanten, Onkel, Vettern, Geschwister – irgendwer wollte sie immer.
    Die jüngsten Findelkinder kamen oft ohne Namen in die Hallen und wurden von Marrin getauft. Marrin hatte den typischen Humor eines Leontiners.
    “Catti? Was ist mit Catti?”
    Er schüttelte den Kopf und zeigte auf die geschlossenen Türen der Findelhallen. Es waren bescheidene Türen für ein Gebäude dieser Größe. Sie schluckte, nickte und rannte los.
    Als Kaylin zum ersten Mal in die Findelhallen gekommen war, hatte sie Marrin gefragt, warum alle Kinder dort menschlich waren. Marrin hatte ihr ruhig erklärt, dass die Hallen Kindern aller Rassen offenstanden – dass aber nur menschliche Kinder es bis durch ihre Türen, oder wenigstens auf ihre Treppen, schafften.
    “Der Rest wird gewollt”, hatte Kaylin verbittert gesagt.
    Marrin hatte den Kopf geschüttelt und leise geknurrt. “Benutz dieses Wort nicht”, hatte sie fauchend gesagt.
    “Welches?”
    “Gewollt.”
    Kaylin hatte mit den Schultern gezuckt.
    “Menschen sind so zerbrechlich”, hatte Marrin mit Bestimmtheit weitergesprochen, “die kleinsten Dinge bringen euch um. Seuchen. Fluten. Feuer. Andere Menschen. Ich will nicht, dass meine Kinder denken, sie wurden verlassen.”
    Deine Kinder
, hatte Kaylin misstrauisch gedacht. Aber sie hatte bald nachdem es sie wieder und wieder zu den Hallen gezogen hatte, herausgefunden, dass es wirklich Marrins Kinder waren, wenn es darauf ankam. Marrin gab ihnen ein Dach über dem Kopf, Kleider, etwas zu essen. Marrin brachte die Leute mit Gewalt und Schmeicheleien dazu, den Hallen zu spenden, was sie brauchten. Wenn das Geld knapp war, gab sie sich auch mit Zeit zufrieden – die Kinder lernten lesen, schreiben und Tätigkeiten, die sie für diejenigen Menschen nützlich machten, die das Geld hatten, sie zu beschäftigen.
    Kaylin konnte den Waisen ihr Glück nicht neiden. Sie hatte es sich überlegt, aber als sie ihnen dann begegnet war … waren sie bloß Kinder gewesen.
    Und Kaylin hatte immer eine Schwäche für Kinder gehabt.
    Sie stieß das Tor auf und fast mit Marrin zusammen. Die Leontinerin ging unruhig auf und ab.
    “Marrin, was ist mit Catti?”
    “Sie ist gefallen”, sagte Marrin ruhig.
    “Von wo?”
    Die Leontinerin sagte nur eins: “Folge mir.” Ihr Tonfall fügte
schnell
hinzu. Kaylin tat, was die anderen Kinder in den Findelhallen auch taten: Sie gehorchte.
    Catti lag in einem niedrigen Bett unter schweren Decken. Sie war nicht bei Bewusstsein, was ein schlechtes Zeichen war. “Habt ihr sie bewegt?”, fragte Kaylin.
    “Sie ist nicht von selbst hergelaufen”, war die knappe Antwort. Marrin war wirklich besorgt.
    Und Kaylin konnte sehen, warum. Catti atmete noch, aber das war auch schon so gut wie alles, was sie tat, und es war ein ziemlich flaches Atmen.
    “Dock hat sie gefunden”, fügte Marrin versöhnlicher hinzu.
    “Nennt er sich immer noch so?”
    Marrin zuckte mit den Schultern. “Es ist so eine Phase”, sagte sie. Ihre Pranken waren hinter ihrem Rücken verschränkt, aber während sie auf und ab ging, konnte Kaylin sehen, dass ihre Klauen ausgefahren waren.
    “Hat er sie bewegt?”
    Marrin nickte.
    “Sag ihm, beim nächsten Mal soll er das nicht tun. Lasst sie … einfach liegen und ruft mich.”
    “Ist sie –”
    “Ich weiß es nicht. Aber ich habe solche Verletzungen schon früher gesehen.” Nicht oft, den Göttern sei Dank. Welchen Göttern auch immer. Kaylin bevorzugte keine Religion besonders. “Bringt mir Wasser”, fügte sie hinzu.
    “Soll ich es über sie schütten?”
    Kaylin schüttelte den Kopf. “Ich muss es trinken. Vielleicht denke ich nicht daran. Dann musst du mich zwingen”, fügte sie hinzu, als sie ihre Handfläche gegen die blasse Wange des Mädchens legte. Catti war in den letzten sechs Jahren gewachsen. Mit ihren zwölf Jahren hatte sie noch das Gesicht eines Kindes, aber ihr Kiefer wurde

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