Kaylin und das Reich des Schattens
entging wirklich
nichts
. “Warum?”
“Es steht dir frei, die Frage nicht zu beantworten”, sagte er und legte seine Stirn in tiefere Falten. “Aber meine Zeit mit Spielereien zu verschwenden steht dir nicht zu.”
Sie schloss die Augen. “Karte”, sagte sie leise. Als sie sie öffnete, war sie bereits da. Genau wie die Lichter, die Spur der Toten. Sie trat an den Spiegel, hob einen Finger, und deutete in die Mitte des zufälligen Musters. “Dort”, sagte sie leise. “Nahe Vier Ecken.”
Er strich mit der Hand über den Spiegel. Sie glaubte, die Karte würde verschwinden. Stattdessen leuchteten drei weitere Lichter zwischen den ersten achtunddreißig auf.
“Ja”, sagte sie leise. “Dort in der Nähe.”
“Sie wissen nicht, dass du gegangen bist.”
“Ich weiß es nicht. Ich weiß nicht, was Nähe damit zu tun hat. Die Toten wurden in den Kolonien gefunden, aber meine Arme verändern sich immer noch.”
“Danke.” Er hob noch einmal seine Hand, und die Karte verschwand. “Du kannst gehen.”
Sie schaffte es fast nach draußen, musste sich allerdings noch einmal umdrehen. “Hast du ihm gesagt, er soll mich umbringen?”
Er antwortete nicht.
“Tiamaris, hast du dem Falkenlord gesagt, er soll mich umbringen?”
“Was glaubst du?”
Sie hatte darauf keine Antwort.
Teela wartete an Marcus’ Schreibtisch auf sie. Marcus war nicht da, auch Leontiner mussten essen. Sie kochten allerdings nicht sehr häufig.
“Du hast dir Zeit gelassen”, sagte die Barrani. Sie erhob sich von den neuesten Krallenspuren und zuckte mit den Schultern. “Sie spannen dich ziemlich ein.”
Kaylin nickte. “Kommt Tain nicht?”
“Ich dachte, ich gebe Tain den Nachmittag lieber frei.” Während sie sprach, richtete sich ihr Blick auf das Zeichen auf Kaylins Gesicht. Kaylin zuckte zusammen. Sie hatte es ganz vergessen. Aber sie sah ihr eigenes Gesicht auch selten.
“Ich habe mich nicht verändert”, murmelte sie.
“Du bist pünktlich gekommen”, widersprach Teela ihr mit einem Grinsen. Jeder wollte ein Komiker sein.
“Ich habe gehört, es gab Ärger bei den Findelhallen.”
Kaylin zuckte mit den Schultern. “Haben
alle
davon gehört?”
“So ziemlich, jedenfalls wenn sie nicht weiter als eine Meile vom Büro weg waren.” Teelas Stirnrunzeln war nur oberflächlich. Sie hatte ihre Augen zusammengekniffen. Das sollte ihr besorgter Gesichtsausdruck sein. Komisch, wie sehr er einer Drohung ähnelte.
“Warum?”
“Marrin ist laut, wenn ihre Jungen bedroht werden.”
“Sie ist eben Leontinerin.”
“Ja. Und sie konnte dich nicht erreichen. Marcus hatte eine seiner Launen – wahrscheinlich gut, dass sie nicht persönlich in die Hallen gekommen ist.”
“Warum?”
“Ach, das Übliche – zwei wütende Leontiner, viel Gefauche, viele Krallen, Fangzähne und Fell.” Teela zuckte mit den Schultern. “Und irgendwann hat er ihr dann ja auch gesagt, dass du zu Hause bist.”
“Wann irgendwann?”
“Sie musste ihm sagen, was passiert ist.”
Kaylin schloss die Augen. “Das hat ihr bestimmt nicht gefallen”, sagte sie schließlich.
“Hat es auch nicht.”
“Marcus?”
“Hat nicht viel mehr gesagt. Er ist ein Mann. Er weiß, wann er sich zurückziehen muss.” Sie drehte die Keule in ihren Händen – sie entsprach den Bestimmungen. Für Barrani. Was bedeutete, dass sie über einen Meter lang war und nur so lange wie Holz aussah, bis man damit getroffen wurde. Teela trug die vollständige Straßenuniform, aber eine Rüstung hatte sie nicht angelegt. Für die Barrani war die Rüstung freiwillig. Kaylin trug Leder, allerdings verborgen unter ihrem weiten Übermantel, auf den das Emblem der Falken mit etwas, das wie Gold aussah, gestickt war. Da sie das Budget ihrer Abteilung kannte, war es wahrscheinlich etwas anderes. Sie hatte nie gefragt.
“Wohin gehen wir?”
“Barker.”
“Warum?” Barker war ein kleines, untersetztes Wiesel von einem Kaufmann. Neben ihm wirkte sogar Schmieröl sauber.
“Du hast wohl nicht aufgepasst, was? Wir haben noch viereinhalb Wochen bis zu den großen Feiertagen in Elantra.”
Kaylin verdrehte die Augen. “Und Barker verkauft schon wieder gefälschte Lizenzen?”
“Er ist nur ein Mensch”, sagte Teela mit einem Schulterzucken.
“Hey, dagegen hab ich was!”
Die Barrani lachte. “Typisch. Nein, wir haben keinen Beweis, dass er versucht, gefälschte Lizenzen zu verkaufen. Ja, wahrscheinlich tut er es. Er versucht das doch jedes Jahr auf
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