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Kaylin und das Reich des Schattens

Kaylin und das Reich des Schattens

Titel: Kaylin und das Reich des Schattens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Sagara
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konnte es selbst deutlich sehen. Sie hatte vor langer Zeit einmal Angst gehabt, zu sterben. Die Angst war besser gewesen. “Du glaubst, wenn sie sich verändern, falls sie sich vollkommen ändern, bringt es mich um.”
    “Nein, Kaylin”, sagte er sanft. “Nicht dich.”
    “Was glaubst du, was dann geschieht?”
    Sein Schweigen war kein Trost.
    “Tiamaris?”
    “Ich weiß es nicht”, sagte er schließlich. Und er sagte nicht die Wahrheit.
    Sie wies ihn darauf hin. “Du lügst.”
    Und merkte sich genau, wie seine Augen von einem matten Gold zu bitterem, flammendem Rot wurden: Nenne nie einen Drachen einen Lügner.
    Der Falkenlord trat zwischen sie. Er berührte Kaylin nicht, und er hob sicher nicht die Hand gegen Tiamaris, aber seine Anwesenheit wirkte beruhigend. Irgendwie. “Sie ist in den Kolonien aufgewachsen. Sie versteht den Hof nicht, und da Ihr Euch entschlossen habt, hier zu lernen, müsst Ihr damit rechnen.”
    Timaris nickte grimmig. “Ich habe nicht gelogen”, sagte er in einer Stimme, die den ganzen Fluss Ablayne in einem Augenblick zu Eis erstarren lassen konnte. “Ich weiß
nicht
, was geschehen wird.”
    “Du hast einen Verdacht.”
    “Wenn du auch nur eine Unze Verstand hast”, entgegnete er, “dann du ebenfalls. Du hast das Siegel in den Langen Hallen von Nightshade gesehen – du kennst die Schrift der Alten. Du weißt, dass es sich um uralte Magie handelt.” Das Rot verließ seine Augen, sie waren jetzt gebranntes Orange und wurden langsam wieder zu ihrem normalen Gold. “Aber es stimmt, Grammayre. Ich vergesse mich. Kaylin, ich habe dir gesagt – Magier sind bereits dabei gestorben, solche Male zu untersuchen. Sie finden sich auf Steinwänden, Steintafeln, goldenen Kugeln. Kein einziges solcher Zeichen wurde je auf etwas Lebendigem gefunden, außer auf dir.
    Doch die Schrift auf deinen Armen, so, wie sie zuerst aufgetaucht ist, unterscheidet sich auffällig von den Zeichen auf den Opfern. Die Art, auf die sie gestorben sind, und die Bedeutung der Schrift lässt nur eine einzige Schlussfolgerung zu.”
    “Ich bin in Gefahr.”
    “Ja.” Ehe sie sprechen konnte, hob er eine Hand. “Die Gabe, die du zeigst – das Heilen – ist keine dunkle Kunst. Sie ist selten, und dass du sie überhaupt hast, obwohl du so wenig gebildet bist, macht dich einzigartig. Außerdem”, fügte er leise hinzu, “muss es die Aufgabe der Mörder um vieles erschweren. Wenn ich mit meinem wenigen Wissen raten müsste, würde ich sagen, dass die frühen Zeichen auf irgendeine Art deinen Impuls zu heilen ansprechen. Die Zeichen auf den Opfern sprechen von Tod, und nur davon. Hier”, sagte er, und die Bilder veränderten sich, “ist das erste Bild, das wir von den Zeichen auf deinen Armen haben. Siehst du diese Rune?” Es war ein Kreis, ein kleiner Kreis, schlicht und mit etwas verziert, das wie stilisierte Blätter aussah. “Ich glaube, es ist ein Token. Und es bedeutet nicht Tod, sondern natürliches Ende und natürlicher Anfang.
    Das hier”, fuhr er fort und richtete den Fokus auf den Arm eines gesichtslosen Leichnams, “ist der Tod. Ein Kreis, der gebrochen ist, und so den Sinn des Natürlichen verliert. Diese Veränderung beim Schreiben vorzunehmen ist leicht. Aber es handelt sich hier um mehr als nur Schrift. Ich glaube, sie versuchen, einen essenziellen Teil der Magie zu verändern. Wärest du ein anderer Mensch –”
    “Hätte sie den Turm nie lebend verlassen”, sagte der Falkenlord leise.
    “Wäre das besser gewesen?”, fragte Kaylin.
    “Diese Frage musst du dir selbst beantworten”, antwortete der Falkenlord. Er war jetzt ernst. Kalt. “Aber nicht nur für dich wird die Antwort wichtig sein. Auch mein Urteilsvermögen wird infrage gestellt.”
    Sie schluckte. “Tiamaris”, sagte sie leise, “bleibst du hier?”
    Er hob eine Augenbraue.
    “Während ich … mich im Archiv umsehe. Nach den früheren Toten.”
    “Ah. Ja, Kaylin. Ich bleibe. Ich habe den starken Wunsch, dich auszufragen, und er wurde mir lange Zeit verweigert.”
    “Wann hast du darum gebeten?”
    “Das ist nicht wichtig”, entgegnete der Falkenlord und hob eine Hand. “Tiamaris.”
    “Lord Grammayre.”
    Im Turmzimmer vergingen Stunden. Die Schatten wurden kürzer, als die Sonne die Mitte der gewölbten Decke erreichte. Kaylin merkte den Fortschritt der Zeit kaum. Ihr Nacken war verspannt, und sie musste auf und ab gehen, damit ihre Beine nicht zitterten. Tiamaris bediente den Spiegel, er hatte es ihr

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