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Kaylin und das Reich des Schattens

Kaylin und das Reich des Schattens

Titel: Kaylin und das Reich des Schattens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Sagara
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Worten. Daran hatte sie sich im Laufe der Jahre gewöhnt, es war so natürlich wie das Wetter. “Ich bin einfach … da geblieben. Bei ihr. Bis Severn gekommen ist. Er ist immer gekommen”, fügte sie hinzu, “im Winter. Jeden Tag. Ich weiß nicht, warum. Ich wusste nicht, was ich tun sollte, aber Severn wusste es. Er hat gesagt, ich soll mit ihm kommen, und ich ging mit ihm. Wir sind nie zurückgekehrt. Ich war immer noch fünf. Er war immer noch zehn.
    Er hat mir beigebracht, wie man sein Leben lebt. Er hat mir beigebracht, wie man harmlos und bemitleidenswert aussah, und er hat mich an den Rand der Kolonie mitgenommen. Ich habe auf Old Nestor gebettelt, kurz hinter dem Ablayne. Ich habe mir die Leute aus der äußeren Stadt angesehen, in ihren warmen Mänteln und ihren neuen Stiefeln und mit ihrem Geld. Ich habe sie gehasst”, fügte sie emotionslos hinzu. “Aber ich habe ihr Geld trotzdem genommen. Er hat mir auch beigebracht, wie man es sich nimmt, wenn sie nicht geben wollten. Wir haben als Team gearbeitet.
    “Es hat ihm nicht gefallen”, fügte sie hinzu, “genauso wenig wie meiner Mutter. Aber es waren die Kolonien … stehlen war besser als verhungern.” Sie legte ihre Hände zusammen, wie zum Gebet. Nur so konnte sie verhindern, dass sie zitterten. “Ich bin nicht stolz darauf”, gestand sie und starrte auf ihre Finger. “Aber ich schäme mich auch nicht dafür. Es hat mich zu dem gemacht, was ich bin.”
    Jetzt kam der schwere Teil. Sie konnte es fast nicht sagen. Und das wusste der Falkenlord. Seine Stille war kühl, aber als sie ihm endlich ins Gesicht sah, war es anders. Er wartete jetzt ab. Würde auf sie warten.
    “Als ich acht war”, sagte sie, und ihre Kehle zog sich zusammen, “habe ich Severn immer noch angebetet. Er war dreizehn. Ich dachte, er wäre ein Mann. Ich dachte, er könnte einfach alles schaffen. Es war Winter – alle verzweifelten Taten geschehen im Winter.”
    “Der Winter in den Kolonien ist hart”, sagte der Falkenlord leise. Nicht, dass er ihr damit etwas sagen würde, was sie noch nicht wusste. Aber dass er verstand, beruhigte sie.
    “Wir waren auf der Suche nach etwas zu essen”, fuhr sie fort und starrte den dumpfen Schimmer an, den der Rand des Kreises von sich gab. “Oder Geld. Ich war aus meinen Kleidern größtenteils herausgewachsen. Wir hatten ein Zimmer, aber nicht viel mehr. An dem Tag haben wir stattdessen Steffi gefunden.”
    “Steffi?”
    Ihre Kehle zog sich ganz zusammen. Sie neigte ihren Kopf, versuchte, ihre Augen offenzuhalten, versuchte, dass sie trocken blieben. Ihre Hände öffneten und schlossen sich in einem Rhythmus, der ihren Herzschlag nachahmte. “Sie war ein Jahr jünger als ich.” Sie gab jedes Wort nur schwer auf. In jedem steckten Gefühle, und wenn sie nicht vorsichtig war, kamen die Gefühle mit hinaus, bis nur noch sie übrig waren.
    Und was für Gefühle?
    Sie schlug mit der flachen Hand fest auf den Boden. “Sie war wirklich hübsch. Nicht so wie ich. Ihr Haar war sehr hell, es war lang, und ihre Augen waren blau. Ihre Haut war auch blau, aber das lag an der Kälte. Als sie sich aufgewärmt hatte, war sie eine kleine, perfekte Puppe. Ich dachte jedenfalls so von ihr”, fügte sie emotionslos hinzu, als ob man Verbitterung begraben oder amputieren könnte. “Als würde sie mir gehören. Weil ich sie im Schnee gefunden hatte.
    Severn wollte sie nicht behalten. Aber ich schon. Ich habe gebettelt. Ich habe ihn angefleht. Ich habe ihm sogar gedroht”, fügte sie mit einem leisen Wimmern hinzu, das klang, als läge hinter ihren Worten ein Lachen. “Ich habe ihm gesagt, ohne sie gehe ich nicht nach Hause.
    Und am Ende war er wütend auf mich. Aber ich durfte sie behalten. Er hat sie mit zurück zu uns genommen.”
    Sie neigte ihren Kopf.
    “Kaylin.
Kaylin
.”
    Sie sah auf, um ihm in die Augen zu sehen, und sah stattdessen, dass er seine Flügel ganz ausgestreckt hatte. Hätte der Kreis nicht geleuchtet, sie wäre aus seiner Mitte direkt in seine Arme gesprungen. Das hatte sie schon vorher getan. Mehr als einmal. Aber da war sie noch jünger gewesen. “Du wolltest es wissen”, flüsterte sie.
    Er sagte nichts.
    “Am Ende war er auch gut zu ihr. Er hat sie fast genau wie mich behandelt. Steffi war … ein bisschen anstrengend. Sie hatte wochenlang Angst vor Severn. Aber
mir
hat sie vertraut. Und am Ende hat sie sich doch geöffnet, weil ich ihm vertraut habe. Er ist für uns hamstern gegangen. Es ging ihr nicht gut”,

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