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Kaylin und das Reich des Schattens

Kaylin und das Reich des Schattens

Titel: Kaylin und das Reich des Schattens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Sagara
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geliebt.” Kaylin hielt einen Augenblick inne. “Ich kann das nicht.”
    Lord Grammayre wartete. Er hatte immer gewusst, wann er einfach warten musste.
    “Du willst mich nicht bei den Falken haben”, sagte sie leise.
    “Das sagst du nicht zum ersten Mal.”
    “Es ist jetzt genauso wahr wie damals.”
    “Was habe ich dir damals gesagt?”
    “Dass du deine eigenen Entscheidungen triffst”, antwortete sie hölzern.
    “Daran hat sich nichts geändert.”
    “Bedauerst du es nicht?”, fragte sie leise und starrte auf ihre Hände.
    Er antwortete nicht.
    “Als ich zehn war”, sagte sie, als sie die Stille keinen Augenblick mehr aushalten konnte, “hat sich alles geändert.” Sie hob ihre Arme. Unter dem zugeknöpften Hemd lebten ihre Tätowierungen. Sie konnte fast fühlen, wie sie über ihre Haut krochen. “Es war wieder Winter. Manchmal habe ich das Gefühl, mein ganzes Leben in den Kolonien war ein einziger Winter.
    Die Zeichen erschienen. Wir hörten Jade gerade beim Singen zu. Ich wartete darauf, eine Geschichte zu erzählen. Ich habe ihnen Geschichten erzählt, und sie hatten genug Geduld, um so zu tun, als würde es sie interessieren. Severn lehnte an der Wand neben der Tür. Wir hatten keine Riegel”, fügte sie hinzu, “und im Winter konnten die Leute ziemlich verzweifelt werden.
    Aber dann hat Steffi plötzlich auf meine Arme gezeigt. Ich glaube, sie hat geschrien. Steffi hat nicht oft geschrien. Das war egal – Severn sprang von der Wand, als hätte sie plötzlich Feuer gefangen. Er hatte schon das ganze Zimmer durchquert, als ich endlich merkte, worauf Steffi zeigte.
    Er hat meine Handgelenke festgehalten, und die Zeichen begannen sich über meine Haut zu schreiben. Er hat zugesehen. Wir alle taten das. Es war gruselig”, fügte sie leise hinzu. Sie erinnerte sich daran, wie sie sich in dem kleinen Raum aneinandergeschmiegt hatten, der so warm war, weil er so klein war und so viele darin lebten. Sie erinnerte sich, wie Jade an ihre Seite gekommen war und einen knochigen Arm um sie gelegt hatte, als ob die Zeichen Narben wären. Als ob sie sich dadurch ähnlicher würden.
    “Aber am Ellenbogen hat es aufgehört. Die Zeichen auf den Beinen habe ich erst am nächsten Tag bemerkt und den Kindern nichts davon gesagt. Ich habe es nur Severn erzählt. Ich war schon alt genug, um mich ein bisschen zu schämen, aber nicht viel. Er war Severn.
    Wir haben abgewartet. Drei Tage lang haben wir gewartet, ob noch etwas anderes passiert. Steffi dachte, es wäre die Pest. Severn hat ihr gesagt, sie wäre ein Volltrottel. Oh, damals hat es viele Tränen gegeben.
    Aber es hat zwei Wochen gedauert, ehe wir bekamen, was wie eine Antwort schien, und es war eine düstere, furchtbare Antwort.”
    “Das erste Opfer”, sagte der Falkenlord.
    Sie nickte. “Ein Junge”, fügte sie leise hinzu. “In meinem Alter. Benito. Ich kannte ihn. Er war der Sohn eines der zwei Kaufmänner, die uns tatsächlich in die Nähe ihrer Stände ließen. Der Kaufmann hatte sieben Kinder, und er wusste, was Hunger den Jungen antat. Er wusste, dass wir stehlen würden, was wir konnten, wenn er uns den Rücken zukehrte – und er tat es trotzdem. Uns den Rücken zukehren, meine ich. Er hat sich oft genug weggedreht. Wir haben ihn bezahlt, wann immer wir konnten”, sagte sie noch dazu. “Und von seinem Bruder haben wir die Nachricht gehört.
    Sein Bruder war wirklich aufgewühlt. Er redete von den Zeichen. Redete vom Tod. Gab uns den Rat, vorsichtig zu sein. Er wusste nichts von den Zeichen auf meinen Armen”, erklärte sie, “weil Severn dafür sorgte, dass ich sie bedeckt hielt. Schon damals.
    Jade hatte furchtbare Angst um mich. Severn sagte nichts. Aber nach diesem Tag hat er mich nicht aus den Augen gelassen. Wir haben abgewartet, einfach gewartet. Und einen Monat später – noch ein Opfer. Das war Tina”, fügte sie bitter hinzu. “Sie hat an den äußeren Grenzen der Kolonien gelebt. Ehe meine Mutter gestorben ist, haben wir manchmal zusammen gespielt.
    Jeden Monat gab es ein weiteres Opfer. Und jedes Mal, wenn es passierte, waren wir verängstigt und erleichtert. Verängstigt, weil ein Wahnsinniger frei in den Kolonien umherging – nicht einmal der Lord konnte ihn fassen, und zu der Zeit wusste der Lord bereits davon. Ich war ihm damals noch nicht begegnet. Ich wollte es nie. Aber wir waren erleichtert, weil das Opfer nicht ich war.”
    “Und deine Gabe?”
    “Dazu wollte ich gerade kommen.” Aber das stimmte nicht.

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