Kein Alibi: Roman (German Edition)
war.
Während sie zu ihrem Schlafzimmer weiterging, schob sie ihre Nervosität auf den Regen. Obwohl er nach tagelanger drückender Hitze Erleichterung brachte, war es nun fast schon wieder zu viel des Guten. Das Wasser lief in Sturzbächen herunter, die gegen die Fensterscheiben prasselten und aufs Dach trommelten. Kanalschächte quollen über, Dachrinnen fassten die Mengen nicht mehr.
Sie öffnete eine Tür zur Piazza im ersten Stock, trat hinaus und zerrte einen Gardenienkübel unter den schützenden Dachvorsprung. Unten, in der Mitte des umfriedeten Gartens, floss der Steinbrunnen über. Die Wucht des Regens hatte Blüten von ihren Stängeln geschlagen, nackt und verloren ragten die Pflanzen auf. Nachdem sie wieder drinnen war, sicherte sie die Tür, ehe sie von Fenster zu Fenster ging, um die Läden zu schließen. Bei diesem Platzregen musste jeder nervös werden. Heute Abend war die Battery verlassen gewesen. Ohne die üblichen Jogger, Radfahrer und Hundebesitzer hatte sie sich isoliert und verwundbar gefühlt. Die Baumriesen in den Gärten von White Point hatten finster und bedrohlich gewirkt, obwohl sie ihre tiefen dicken Äste normalerweise als beschützend empfand.
Im Bad hängte sie ihr Handtuch über die Messingstange und beugte sich über die Wanne, um die Hähne aufzudrehen. Da es eine Weile dauerte, bis heißes Wasser aus den Rohren kam, nutzte sie die Zeit zum Zähneputzen. Als sie sich vom Waschbecken aufrichtete, bemerkte sie, dass sich im Arzneikasten etwas spiegelte, und fuhr herum.
An einem Haken hinter der Tür hing ihr Bademantel.
Mit wackligen Knien lehnte sie sich gegen das Waschbecken und befahl sich, mit diesem Unsinn aufzuhören. Es war nicht ihre Art, bei jedem Schatten zusammenzuzucken. Was stimmte nicht mit ihr?
Erstens: Bobby. Verdammter Kerl. Verdammter Kerl!
Ob Unsinn oder nicht, gestattete sie sich selbst doch dieselben Schwächen, wie sie es einem Patienten angeraten hätte. Wenn deine sorgfältig konstruierte Welt in Stücke zu brechen droht, darfst du dir auch erlauben, einigermaßen natürlich zu reagieren. Unter anderem mit bitterem Zorn, ja sogar Wut, und ganz gewiss mit kindischer Furcht.
Sie konnte sich noch gut an das verängstigte Kind erinnern. Im Vergleich zu Bobby Trimble war der schwarze Mann gar nichts. Im Zerstören von Leben war er äußerst geschickt. Ihres hätte er beinahe einmal zerstört, und nun drohte er, es wieder zu versuchen. Deshalb fürchtete sie ihn, jetzt sogar mehr als früher.
Deshalb ließ sie sich von einem Bademantel erschrecken, log und tat so unverantwortliche Dinge, wie einen braven Menschen wie Hammond Cross in etwas Schmutziges hineinzuziehen.
Aber nur ganz am Anfang, Hammond. Nur dann.
Sie stieg in die Wanne und zog den Vorhang zu. Dann stand sie lange mit gesenktem Kopf unter der Dusche und ließ das heiße Wasser auf ihren Schädel trommeln, während ringsherum Dampfschwaden wirbelten.
Ein Samstagabend in Harbour Town war ihr als sichere Lüge erschienen. Damit befand sie sich in glaubwürdiger Entfernung zu Charleston, an einem viel besuchten Ort, wo sich logischerweise niemand erinnern könnte, sie gesehen zu haben. Verdammtes Pech!
Die Geschichte mit der Waffe, die sie beim Verhör erzählt hatte, entsprach der Wahrheit. Trotzdem bestand inzwischen nur wenig Aussicht, dass man ihr glaubte. Nachdem sie sich schon einmal in eine Lüge verstrickt hatte, klänge alles, was sie anschließend sagte, unwahr.
Steffi Mundell war entschlossen, sie als Schuldige abzustempeln. Die Staatsanwältin hasste andere Frauen, das hatte Alex sofort bei der ersten Begegnung festgestellt. Ihre Studien hatten sich mit Persönlichkeiten vom Typ Mundell beschäftigt. Sie war ehrgeizig, clever und von einem maßlosen Konkurrenzdenken getrieben.
Menschen wie Steffi waren selten glücklich, weil sie nie zufrieden waren. Sämtliche Erwartungen blieben unerfüllt, weil die Maßstäbe ständig höher gesetzt wurden. Befriedigung war unerreichbar. Steffi Mundell war ein extrem erfolgsorientierter Mensch, zu ihrem eigenen Schaden.
Rory Smilow war härter zu knacken. Er war kalt, und Alex bezweifelte nicht, dass er grausam sein konnte. Andererseits spürte sie in ihm einen inneren Dämon, mit dem er ständig im Clinch lag. Dieser Mann kannte keinen Augenblick inneren Friedens. Sein Ventil bestand darin, andere zu quälen, damit sie sich genauso elend fühlten wie er. Diese grundlegende Unzufriedenheit machte ihn verwundbar; dagegen kämpfte er mit einer
Weitere Kostenlose Bücher