Kein Alibi: Roman (German Edition)
sehnte sich danach, von Stefanie Mundell in eine Anklage wegen sexueller Belästigung verwickelt zu werden.
Sie tat, als hätte sie von all diesen Schlafzimmerphantasien keine Ahnung – wenn sie sie überhaupt registrierte. Nicht weil ihr die Tatsache, dass Männer ihr die schlüpfrigsten Attribute anhängten, Probleme bereitete oder sie verunsicherte. So etwas tat sie schlichtweg als präpubertäre Auswüchse ab, etwas viel zu Dummes und Albernes, um darauf Zeit und Energie zu verschwenden.
Insgeheim beobachtete Rory sie jetzt im Spiegel, während sie sich einen schmalen Ledergürtel um die Taille band und anschließend mit den Händen durch die Haare fuhr, womit das Thema Kämmen abgeschlossen war. Er fühlte sich körperlich nicht von ihr angezogen. Ihr Benehmen löste in ihm keine wilde Fleischeslust aus, nur eine tiefe Bewunderung für ihre scharfe Intelligenz und den Ehrgeiz, der sie antrieb.
»Steffi, das war ein sehr bedeutsames ›Hmm‹. Woran denkst du gerade?«
»Wie wütend der Täter gewesen sein muss.«
»Das hat auch schon einer meiner Kommissare angemerkt. Es war ein kaltblütiger Mord. Der Gerichtsmediziner meint, möglicherweise sei Lute nicht bei Bewusstsein gewesen, als er erschossen wurde. Jedenfalls stellte er keine Bedrohung dar. Der Mörder wollte einfach sicherstellen, dass er tot ist.«
»Wenn ihr eine Liste aller Leute aufstellt, die Lute Pettijohn tot sehen wollen –«
»So viel Papier und Tinte haben wir gar nicht.«
Sie begegnete im Rückspiegel seinem Blick und lächelte. »Stimmt. Also, irgendwelche Vermutungen?«
»Bis jetzt noch nicht.«
»Oder sagst du’s nur nicht?«
»Steffi, du weißt, dass ich erst dann etwas zu dir ins Büro bringe, wenn ich so weit bin.«
»Versprich mir nur eines –«
»Keine Versprechungen.«
»Versprich mir, dass kein anderer den ersten Schuss abfeuern darf.«
»Auf Wortspielchen war ich eigentlich nicht aus.«
»Du weißt genau, was ich meine«, sagte sie verärgert.
»Mason wird den Fall zuweisen«, sagte er mit einer Anspielung auf Monroe Mason, den Bezirksstaatsanwalt von Charleston. »Es liegt an dir, dafür zu sorgen, dass du ihn bekommst.«
Aber ein Blick in den Spiegel und in ihre brennenden Augen genügte, und er wusste, dass sie diesem Fall erste Priorität einräumen würde. Er steuerte den Wagen in die Parkbucht. »Da wären wir.«
Sie stiegen vor Lute Pettijohns Anwesen aus, einem schon rein äußerlich grandiosen Herrenhaus, das zur prestigeträchtigen Adresse von South Battery passte und ein Konglomerat verschiedener Architekturstile darstellte. In den ursprünglich georgianischen Bau waren nach dem Sezessionskrieg ein paar Südstaatenelemente eingefügt worden, gefolgt von einer griechisch-klassizistischen Säulenreihe, die vor dem Krieg als der letzte Schrei galt. Später wurden an der imposanten Struktur hier und da viktorianische Zuckerbäckerornamente ergänzt. Dieser Architekturmischmasch war typisch für das historische Viertel und machte Charleston ironischerweise nur pittoresker. Das dreistöckige Haus hatte breite Doppelbalustraden, umrahmt von prächtigen Säulen und eleganten Bögen, und als Krönung eine Kuppel auf dem Dachfirst. Zwei Jahrhunderte lang hatte es Kriege, dramatische
Wirtschaftsflauten und Unwetter überstanden, ehe es die letzte Attacke ertragen musste: Lute Pettijohn.
Die aufwändige Sanierung hatte Jahre gedauert. Der erste leitende Architekt des Projekts hatte nach einem Nervenzusammenbruch gekündigt. Der zweite bekam einen Herzinfarkt; sein Kardiologe zwang ihn zum Rückzug aus dem Projekt. Der dritte hatte tatsächlich das Ende der Sanierung erlebt, allerdings auch das seiner Ehe.
Lute hatte keine Kosten gescheut, sein Haus zu dem Gesprächsstoff von ganz Charleston zu machen: vom prächtigen schmiedeeisernen Tor der Einfahrt, inklusive historisch verbriefter Laternenmasten, bis zu den Türangelrepliken an den Hintertüren. Das hatte er erreicht. Es war nicht unbedingt die am meisten bewunderte Renovierung, aber darüber geredet wurde jedenfalls. Ausgiebigst.
Für seine Idee, das alte verfallene Lagerhaus in das jetzige Charles Towne Plaza zu verwandeln, hatte er sich mit der Gesellschaft zur Bewahrung des alten Charleston, mit der historischen Stiftung, und dem Vorstand der Architektenkammer angelegt. Anfänglich lehnten alle diese Organisationen, die eifrig darauf bedacht waren, den einzigartigen Charakter von Charleston zu bewahren, die Flächennutzung zu kontrollieren und
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