Kein Alibi: Roman (German Edition)
schwer abzuschätzen, da beide Elternteile sprunghaft waren und zu Wutausbrüchen neigten. Das Ergebnis waren Streitereien, die jeden Anflug von Frieden und Ausgeglichenheit zu Bruch gehen ließen. Folglich trug das Gefühlsleben der Schwestern Narben davon. Clancy hatte ihre Wunden geheilt, indem sie Anfang dreißig an Gebärmutterhalskrebs starb, was die bösesten Klatschzungen auf allzu häufige Geschlechtskrankheiten zurückführten.
Jerri hatte die entgegengesetzte Richtung eingeschlagen und war im ersten Collegesemester zu einer radikal-christlichen Gruppe konvertiert. Sie hatte sich einem Leben in Mühsal geweiht, das sich jeglicher Vergnügungen enthielt, insbesondere Alkohol und Sex. Sie baute in einem Indianerreservat in South Dakota Wurzelgemüse an und predigte das Evangelium.
Davee, die Jüngste, war als Einzige in Charleston geblieben und hatte Klatsch und Schande die Stirn geboten. Selbst als Clive zwischen seiner morgendlichen Vorstandssitzung und dem Golfabschlag am Nachmittag im Bett seiner damaligen Mätresse an einem Herzinfarkt starb, worauf Maxine mit »Alzheimer« in ein Pflegeheim eingewiesen wurde, obwohl alle wussten, dass ihr in Wahrheit der Wodka das Gehirn aufgeweicht hatte.
Davee, die weich und geschmeidig wie warmes Toffee wirkte, war in Wirklichkeit hart wie eine Schuhsohle. So hart, dass sie es aussaß. Sie konnte alles durchstehen. Das hatte sie bewiesen.
»Nun«, sagte sie, wobei sie aufstand, »ich glaube, ich gönne mir jetzt einen Drink, auch wenn ihr alle abgelehnt habt.«
Am Barwagen ließ sie ein paar Eiswürfel in ein Kristallglas fallen und goss Wodka darüber, den sie fast zur Hälfte in einem
Schluck hinunterkippte. Erst nachdem sie das Glas wieder aufgefüllt hatte, drehte sie sich wieder zu ihnen um. »Wer war sie?«
»Pardon?«
»Also wirklich, Rory. Ich falle schon nicht in Ohnmacht. Wenn Lute in seiner tollen neuen Hotelsuite erschossen wurde, hatte er sicher Damenbegleitung dabei. Ich schätze, entweder sie oder ihr eifersüchtiger Ehemann haben ihn getötet.«
»Wer sagt denn, dass er erschossen wurde?«, fragte Steffi Mundell.
»Was?«
»Smilow hat nicht gesagt, Ihr Mann wäre erschossen worden. Er sagte ermordet.«
Davee genehmigte sich noch einen Drink. »Ich nahm an, dass er erschossen wurde. Ist das keine logische Vermutung?«
»War es eine Vermutung?«
Davee riss die Arme weit auseinander, wobei sie ein wenig von ihrem Drink auf dem Teppich verschüttete. »Zum Teufel, wer sind Sie übrigens?«
Steffi stand auf. »Ich vertrete das Büro des Bezirksstaatsanwalts beziehungsweise des County Solicitor, wie man in South Carolina dazu sagt.«
»Ich weiß, wie man in South Carolina dazu sagt«, gab Davee amüsiert zurück.
»Ich werde im Mordfall Ihres Mannes Strafanzeige erstatten. Deshalb habe ich darauf bestanden, Smilow zu begleiten.«
»Aha, ich kapiere. Damit Sie meine Reaktion auf die Nachricht abschätzen können.«
»Ganz genau. Ich muss schon sagen, Sie haben nicht allzu überrascht gewirkt. Und damit zurück zu meiner ursprünglichen Frage: Wo waren Sie heute Nachmittag? Und sagen Sie nicht, das ginge mich einen feuchten Dreck an, Mrs. Pettijohn, denn Sie sehen ja, dass es mich doch etwas angeht, und zwar eine ganze Menge.«
Davee zügelte ihre Wut, hob gelassen erneut ihr Glas an die Lippen und ließ sich mit der Antwort Zeit. »Sie möchten wissen, ob ich ein Alibi nachweisen kann, nicht wahr?«
»Davee, wir sind nicht zum Verhör hergekommen«, meinte Smilow.
»Ist schon gut, Rory. Ich habe nichts zu verbergen. Ich finde nur, es zeugt von Gefühllosigkeit« – vernichtend musterte sie Steffi von Kopf bis Fuß –, »wenn diese Person einfach in mein Haus schneit und mich wenige Sekunden, nachdem ich erfahren habe, dass mein Mann ermordet wurde, mit beleidigenden und anzüglichen Fragen bombardiert.«
»Das ist mein Job, Mrs. Pettijohn, ob es Ihnen passt oder nicht.«
»Nun, es passt mir nicht.« Damit war sie als unbedeutende Kreatur erledigt, und sie wandte sich an Smilow: »Ihre Fragen beantworte ich gerne. Was möchten Sie wissen?«
»Wo waren Sie heute Nachmittag zwischen fünf und sechs?«
»Hier.«
»Allein?«
»Ja.«
»Kann das jemand bestätigen?«
Sie trat an einen Beistelltisch und drückte einen einzigen Knopf auf dem Haustelefon. Durch den Lautsprecher ertönte die Stimme der Haushälterin. »Ja, Miss Davee?«
»Sarah, würdest du bitte hereinkommen? Danke.«
Schweigend warteten alle drei. Während Davee die
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