Kein Alibi: Roman (German Edition)
lautes Pochen verwandelte. Nach einiger Zeit meinte der Anwalt: »Was erhoffst du dir davon, dass du hierher kommst und mir dies alles erzählst?«
»Es lag mir schwer auf dem Gewissen.«
»Nun, ein Priester bin ich nicht«, sagte Frank unwirsch.
»Nein, bist du nicht.«
»Außerdem vertreten wir in einem Mordprozess die jeweils entgegengesetzte Seite.«
»Auch dieser Tatsache bin ich mir bewusst.«
»Dann komme ich zu meiner Ausgangsfrage zurück: Weshalb bist du hierher gekommen?«
Hammond sagte: »Weil ich weiß, wer Lute ermordet hat.«
33
Davee nahm gelangweilt den Hörer ab. »Davee, du weißt, wer am Apparat ist.« Es war keine Frage.
In Ermangelung einer Alternative hatte sie es sich in ihrem Schlafzimmer auf der Chaiselongue bequem gemacht, Wodka auf Eis getrunken und nebenbei auf einem Kanal mit Filmklassikern einen Schwarzweißfilm mit Joan Crawford angeschaut. Unter dem beschwörenden Tonfall des Anrufers setzte sie sich auf, worauf ihr schwindlig wurde. Sie schaltete den Fernsehton ab.
»Was –«
»Sag kein Wort. Kannst du dich mit mir treffen?«
Sie schaute auf die Uhr, die auf dem antiken Teetischchen neben der Chaiselongue stand. »Jetzt?«
In ihren wilden Teenagerjahren hätte ein Anruf mitten in der Nacht Abenteuer bedeutet. Damals wäre sie heimlich aus dem
Haus geschlichen, um sich mit einem Freund oder einer Gruppe Mädchen zu treffen, wäre bis zum Morgengrauen herumkutschiert, hätte splitternackt im Meer gebadet, Bier getrunken oder Marihuana geraucht. Solche Eskapaden trieben ihre Eltern jedes Mal auf die Palme. Erwischt zu werden und einer Bestrafung zu trotzen, war schon der halbe Spaß gewesen.
Selbst nach ihrer Heirat mit Lute war es nichts Ungewöhnliches, dass sie solche Verabredungen hatte, die in nächtlichen Ausflügen mündeten. Trotzdem hatte das die häuslichen Abläufe nie gestört. Entweder war Lute ihr Kommen und Gehen egal, oder er war zum eigenen Amüsement unterwegs. Diese Exkursionen waren deshalb nicht halb so lustig gewesen.
Obwohl dieser Ausflug kein Spaß zu werden versprach, reizte er ihre Neugier. »Was ist los?«
»Ich kann am Telefon nicht darüber reden, aber es ist wichtig. Kennst du den McDonald’s auf der Rivers Avenue?«
»Kann ich finden.«
»In der Nähe der Kreuzung Dorchester. Komm so schnell du kannst.«
»Aber –« Nur wenige Augenblicke starrte Davee den toten Hörer in ihrer Hand an, dann ließ sie ihn auf die Chaiselongue fallen, statt ihn zurück auf den Akku zu legen, und stand auf. Sie schwankte leicht und stützte sich auf das Tischchen, um die Balance zu halten. Allmählich kehrte ihr Gleichgewichtssinn zurück und mit ihm ihr Verstand.
Das war gaga. Sie hatte eine ganze Menge getrunken. Sie sollte nicht fahren. Außerdem, zum Teufel noch mal, was bildete er sich eigentlich ein, wer er sei? Kommandierte sie zur finstersten Mitternacht zu einem McDonald’s. Kein »bitte« oder »danke schön«. Kein Hauch von Zweifel, sie könnte nicht einverstanden sein. Warum konnte er damit nicht zu ihr kommen, egal, was hier so verdammt wichtig war? Irgendwie musste es ganz sicher mit den Ermittlungen zum Mord an Lute zusammenhängen. Hatte sie nicht deutlich gemacht, dass sie damit nur zu tun haben wollte, wenn es absolut unumgänglich war? Trotzdem ging sie ins Bad, spritzte sich kaltes Wasser ins Gesicht, gurgelte mit Mundwasser
und ließ ihr Nachthemd fallen. Dann schlüpfte sie, ohne sich mit Unterwäsche zu plagen, in eine weiße Hose und ein passendes T-Shirt aus irgendeinem hautengen Mikrofasergewebe, das tiefe Einblicke gewährte. Geschah ihm recht. Schuhe waren ebenfalls überflüssig. Ihre Frisur war ein einziges ungebürstetes Lockengewirr. Sollte sie jemand zusammen sehen, würde allein ihr halb angezogener Zustand für hochgezogene Augenbrauen sorgen. Ihr war das selbstverständlich egal, aber für ihn war dieser Leichtsinn untypisch.
Sarah Birch saß in ihrem Apartment, gleich hinter der Küche, vor dem Fernseher. »Ich gehe noch aus«, teilte ihr Davee mit.
»Um diese Zeit?«
»Ich habe Lust auf Eis.«
»Der ganze Kühlschrank ist voll.«
»Aber nicht mit der Sorte, auf die ich Appetit habe.«
Die getreue Haushälterin wusste immer, wann sie log, stellte aber nie Fragen. Das war nur einer der Gründe, weshalb Davee sie vergötterte. »Ich passe auf. Bin gleich wieder da.«
»Wenn mich jemand später fragen sollte…?«
»War ich um neun im Bett und habe tief und fest geschlafen.« In dem Bewusstsein, dass all
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