Kein Augenblick zu früh (German Edition)
diesem Moment jaulte eine Polizeisirene los und zerriss die Stille der Nacht. Alex ließ den Motor aufheulen. Wir rasten aus der Gasse in die Straße hinaus.
22
»Bist du sicher, dass sie uns nicht verfolgen?«, fragte ich und warf einen Blick über die Schulter. Nach ungefähr einer halben Meile hatte Alex das Motorrad am Ufer geparkt. Wir waren über die Barriere gesprungen und liefen nun auf dem Pier entlang.
»Ziemlich sicher. Ich hab ein kleines Ablenkungsmanöver arrangiert.«
»Ein Ablenkungsmanöver?«
»Ein Anruf beim Polizeirevier. Hab mich als besorgten Bürger ausgegeben, der zwei verdächtige Fahrzeuge melden will, die in seiner Straße parken.«
»Ganz schön clever.«
Schweigend gingen wir bis zum Ende des Piers. Alex’ Arm lag um meine Schultern, mein Kopf ruhte an seiner Brust. Alles erschien mir plötzlich leichter, die Zweifel und Ängste, die mich geplagt hatten, lösten sich durch seine Anwesenheit auf.
»Und jetzt erzähl – was ist passiert, als du ins Camp zurückkamst?«, fragte Alex, als wir uns am Ende des Stegs hinsetzten und die Beine über den Rand baumeln ließen. Niemand war um diese Zeit noch hier draußen und vom Strand aus waren wir nicht zu sehen.
»Hat euch Key das nicht berichtet? Ich dachte, er war in der Nähe?« Unwillkürlich blickte ich zum Himmel. Vielleicht schwebte er gerade unsichtbar über uns und belauschte uns?
»Er hat nur beobachtet, wie du ins Hauptquartier gegangen bist, und später sah er dich wieder herauskommen. Key berichtete es Demos und Demos rief mich an. Aber was ist passiert? Haben sie dich verhört? Hast du Sara getroffen?«
Ich nickte. »Ja, sie hat mich gleich in Empfang genommen. Sie hat die meisten Fragen gestellt. Dann war da noch ein Mann namens Dr. Pendegast; er hat sich eine Menge Notizen gemacht. Ich glaube, es lief ganz gut, aber natürlich kann ich nicht sagen, ob sie mir alles glaubten. Jedenfalls ließen sie mich wieder gehen und das ist doch ein gutes Zeichen, oder nicht?«
Alex nickte nachdenklich und blickte auf den Ozean hinaus. Aber ich sah, dass er sich Sorgen machte.
»Hast du auch gehört, dass sie meinem Vater einen Job angeboten haben?«
»Ja, Key hat das mitbekommen.« Er nickte noch einmal nachdenklich. »Also ist Richard Stirling dort. Hast du ihn schon kennengelernt?«
»Nein.«
Durchaus möglich, dass ich Richard Stirling aus Versehen umbringen würde, wenn ich mit ihm zusammentraf. Oder vielleicht doch nicht ganz aus Versehen. Während ich auf das schwarze Wasser hinausstarrte, geriet eine orangefarbene Boje in ungefähr fünfzig Meter Entfernung in mein Blickfeld. Mit einem Mal begann sie um sich selbst zu kreiseln, dann raste sie davon, pflügte wie ein Jetski durch das Wasser und verschwand in der Dunkelheit.
»Hey, hey, Lila!« Alex schaute mich besorgt an und ich streichelte gedankenverloren sein Gesicht, glättete mit den Fingern die Sorgenfalten auf seiner Stirn. Er griff nach meiner Hand. »Du musst dich besser beherrschen, Lila. Besonders, wenn du bei der Einheit bist, ganz besonders dort. Wenn du Richard Stirling triffst, darfst du dir deine Gefühle auf keinen Fall anmerken lassen. Du würdest dich verraten. Versprich es mir!«
»Okay«, flüsterte ich.
Natürlich machte er sich zu Recht Sorgen. In puncto Selbstbeherrschung war ich nicht sehr stark, egal, ob es um Alex ging oder um meine Psychokraft.
»Hast du etwas von Demos und den anderen gehört?«, fragte ich, um mir keine weiteren Lektionen anhören zu müssen.
»Alles in Ordnung bei ihnen. Sie müssten jetzt schon in Washington sein.«
»Wie lange werden sie brauchen, um alles vorzubereiten?«
»Einen Tag oder zwei.«
Ich kaute auf meiner Unterlippe. Ich hatte nicht mehr viel Zeit, unseren Fluchtplan auszuhecken. »Ich weiß immer noch nicht, wie wir Jack aus dem Camp herausholen können«, gab ich nach einer Weile zu. »Da sind Soldaten, wohin man auch blickt. Und das Hauptquartier ist fast so gut gesichert wie Fort Knox – Sicherheitschecks, bevor man überhaupt zum Lift kommt.«
»Weiß ich.«
»Gut – aber wie kommen wir rein? Und vor allem: wieder raus?«
»Vielleicht ist es gar keine so schlechte Idee, wenn dein Dad den Job annimmt«, überlegte Alex.
Wütend entriss ich ihm meine Hand. »Spinnst du?«
Er schwieg. Dann meinte er: »Es könnte aber hilfreich sein, um jemanden dort drin zu retten.«
»Kommt nicht infrage!«, schrie ich. »Er muss es erfahren, Alex! Stell dir vor, ich wäre dort drin und du würdest
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