Kein Augenblick zu früh (German Edition)
wie anders als bei Alex sich seine Umarmung anfühlte. Ich zuckte zusammen, aber natürlich legte er das als Zustimmung aus und ehe ich mich’s versah, küsste er mich. Seine Lippen waren warm, pfefferminzig, fremd, seine Zunge suchte einen Weg in meinen Mund.
Der Papierkorb erzeugte immerhin einen ordentlichen Schlag. Jonas taumelte zurück und ließ mich los. Ich machte mich bereit, ihn gegen die Wand zu schmettern – aber das war nicht nötig. Wie aus dem Nichts tauchte plötzlich Jack hinter ihm auf. Er packte Jonas am Kragen und riss ihn hoch, wartete, bis Jonas sich gefangen hatte, und holte aus. Ich stöhnte leise auf.
»Das ist meine Schwester!«, brüllte Jack. »Mach – das – nie – wieder!« Krachend traf seine Faust auf Jonas’ Schläfe. Jonas’ verwirrter Gesichtsausdruck wich blankem Staunen, dann verdrehte er die Augen und sank zu Boden.
»Wolltest du nicht mich retten?«, fragte Jack sarkastisch und rieb sich die Faust.
»Mach ich doch!«, gab ich zurück. »Hatte alles total unter Kontrolle.«
»Ja, klar, sah mir ganz danach aus.«
Ich grinste. »Los, komm schon, wir müssen weg. Zieh das hier an.« Ich warf ihm den Arztkittel zu.
»Und sonst? Hast du keine Kleider mitgebracht?« Er trug nur eine grüne Hose, die wohl zur OP -Kleidung eines Chirurgen gehörte. Keine Ahnung, woher er sie hatte. Sein Oberkörper war nackt und er hatte weder Socken noch Schuhe an.
Ich zuckte die Schultern. »Die Sache lief ein bisschen aus dem Ruder.«
»Was war los?«, fragte er, während er den Arztkittel überstreifte und sich nach der Waffe bückte, die Jonas auf das Sofa gelegt hatte.
»Erklär ich dir später. Wir müssen verschwinden.« Ich riss die Tür auf, doch dann fiel mir noch etwas ein und ich schloss sie wieder. »Warte! Wir brauchen ein Messer.« Ich bückte mich, durchsuchte Jonas und zog ein Armee-Springmesser aus seiner Uniformjacke.
Er starrte mich verblüfft an. »He! Was soll das?« Er wich zur Seite aus, als ich mit ausgefahrenem Messer auf ihn zukam.
»Wir müssen den Sender loswerden.«
»Den Sender? Welchen Sender?« Wieder wich er mir aus.
»In der Tätowierung … sie haben dir einen Peilsender eingepflanzt. Den müssen wir rausschneiden.«
Jack stutzte, dann zog er den Kittelärmel hoch und strich mit der Hand über das Tattoo der beiden gekreuzten Schwerter. »Wo? Ich spüre nichts.«
Ich ließ die Finger darüber gleiten und suchte nach dem winzigen Buckel unter der Haut. »Hier.«
»Verdammt«, flüsterte Jack. »Gib mir das Messer!«
Dagegen hatte ich nichts einzuwenden. Ich wandte mich ab, bis ich ihn leise nach Luft schnappen hörte. Vorsichtig blickte ich über die Schulter.
»Tut’s weh?« Ein paar Blutstropfen rannen über seinen Oberarm.
»Nein, es kitzelt«, sagte Jack sarkastisch. »Gib mir mal was zum Verbinden.«
Suchend blickte ich mich um. Jonas war immer noch auf dem Boden, direkt neben einem kleinen Couchtisch, auf dem ein Häkeldeckchen lag.
»Warte mal …« Jack starrte die Wunde an. Sie blutete nicht mehr. Der kleine Schnitt verheilte schon; nach ein paar Augenblicken war nur noch eine schwache rosa Linie direkt über dem Wort Semper zu sehen.
Ich hob nur verwundert die Augenbrauen. Dann warf ich ihm das Häkeldeckchen zu, damit er sich die restlichen Blutspuren abwischen konnte.
»Gib mir den Sender«, sagte ich, während ich vor Ungeduld von einem Bein aufs andere hüpfte. Wir verloren eine Menge Zeit – die Einheit konnte jeden Augenblick hier aufkreuzen. Wir mussten endlich verschwinden!
»Warum?« Jack zog den Kittelärmel wieder herab und griff nach der Waffe.
»Wir müssen ihn loswerden.«
Ich ließ das Ding unter der Tür in den Flur und zum Aufzug schweben und drückte nur durch Gedankenkraft auf den Schaltknopf. Wir hörten ein leises Ping! , als sich die Lifttür öffnete. Dann schickte ich den Sender in die Kabine. Schließlich visualisierte ich die Schaltknöpfe sämtlicher Stockwerke und aktivierte sie alle.
»Gehen wir«, sagte Jack und stieg über Jonas hinweg.
Aber ich hielt ihn zurück.
»Was ist denn jetzt noch?«, flüsterte er gereizt.
»Beinahe hätte ich es vergessen. Wir müssen auf Dad warten.«
Jacks Unterkiefer fiel herab. Er schloss gequält die Augen und öffnete sie langsam wieder. »Hast du dir diesen Plan ausgedacht, Lila? Erst arrangierst du dieses … Rettungsmanöver «, sagte er und machte eine Handbewegung über meine Schwesternkleidung, den Arztkittel und Jonas, »und dann willst du
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