Kein Biss unter dieser Nummer
Wohnwagenkolonie, noch dazu mit riesigen Gärten. In einer Zeit und an einem Ort, wo sich die Leute oft entscheiden mussten, ob »großes Haus oder großer Garten, beides geht nicht, tut mir leid, Sie hätten vor zweihundert Jahren herziehen sollen«, wusste ich, dass ich mich glücklich schätzen konnte, beides zu besitzen. Glücklich in jeder Hinsicht, wenn ich ganz ehrlich war.
Die Hintertür zur Küche ging auf, fiel krachend an die Hauswand und begann, sich wieder zu schließen. Doch zuvor flitzten Puppi und Struppi pfeilschnell in die Freiheit. Wie flauschige, undichte Raketenkörper sausten sie auf mich zu und lieferten mir den lebenden Beweis, dass ich mich doch nicht in jeder Hinsicht glücklich schätzen konnte, sondern nur in
fast
jeder.
»Oooooooooh!«, ohte Laura. »Oh, sind die niiiedlich, so süß und so niiiiiedlich! Kommt, gebt mir einen Kuss!«
»Lass das!«, sagte ich, aber mit einem Lächeln auf den Lippen. Die Hunde, dumme Nuss, die
Hunde!!!
Der Antichrist war nett zu Kindern und kleinen Tieren. Warum hatte ich nicht schon eher daran gedacht, die Hunde als Eisbrecher zu benutzen?
Die Welpen bremsten schlitternd vor mir ab, und Puppi patschte sofort auf meine in Samt gehüllten Zehen und sprang an mir hoch.
Oh ja, genau deshalb hatte ich sie noch nicht ins Spiel gebracht!
»Oooooh, die sind soooo süß, soooo süß, so süüüüß!«
»Lass das, sonst brauche ich noch eine Insulinspritze!« Sanft schob ich Puppi von meinen Füßen.
Gut gemacht, kleine Rakete mit Zähnen! Vielleicht lass ich dich noch mal am Leben.
»Sie können gelegentlich ganz knuffig sein. Das geb ich zu.«
Laura hatte sich hingekniet und Struppi auf den Arm genommen, die nun ihre Nase an Lauras rieb. Igitt. »Weißt du eigentlich, wo sie ihr süßes Schnäuzchen vorher reingesteckt hat?«
»Wie kannst du nur so kaltherzig sein?«
Ich deutete mit dem Finger auf meine Brust. »Untot.«
Sie ignorierte meine lahme Erwiderung. »Sie sind unwiderstehlich. Ich dachte, nach Giselles Tod würdest du dir eine andere …«
»Katze anschaffen«, beendete ich den Satz für sie. »Keine Hunde, man beachte die Mehrzahl. Und das ist das Problem: Hunde versuchen ständig, dir zu gefallen. Und für eine sehr kurze Zeit ist das ja auch ganz schmeichelhaft, doch irgendwann ist es einfach nur noch traurig. Hunde sind wie das linkische Kind in der Highschool, das sich alle Mühe gibt, dazuzugehören, das cool wirken will und es doch nicht ist. Und dann muss man so tun, als fielen einem diese angestrengten Versuche, sich beliebt zu machen, nicht auf, und das macht die ganze Sache unangenehm. Schon bald tun einem solche Kinder leid, und das ist nervig. Man will nicht, dass sie einem leidtun, sondern man wünscht sich, dass sie aufhören, sich so angestrengt darum zu bemühen, cool zu sein, und nach Hause gehen. Doch das tun sie nicht. Niemals. Und deshalb sitzt man in der Klemme. Denn wer hat schon den Mut, diesen Kids die Wahrheit zu sagen? ›Hey, du bist überhaupt nicht cool, und je mehr du es versuchst, desto uncooler wirst du. Das ist wie ein mathematisches Gesetz.‹ Niemand.«
»Und …?« Sie nahm den Welpen unter den Arm wie einen Fußball und stand auf.
»Und … oh, richtig, was ich mit dieser Analogie sagen will, ist, dass ich aus diesem Grund Katzen bevorzuge. Denn Katzen
sind
die coolen Kids, und es ist ihnen völlig egal. Und je weniger sie sich darum kümmern, desto cooler werden sie. Das ist auch wie ein mathematisches Gesetz.«
»Du warst schon vor deinem Tod so, was?«
»Ja«, gab ich zu, und eine halbe Sekunde lang verzog sich ihr Mund zu einem Lächeln. War es ein winziges Lächeln oder der Beginn eines Krampfs? »Oh, und ich hab ganz vergessen zu erwähnen, dass man in fast allen Wohnungen eine Katze halten darf, aber in längst nicht allen einen Hund. Als Katzenbesitzer kann man die Stadt auch mal für mehr als acht, neun Stunden verlassen, doch Hunde sind nicht nur superbedürftig, man muss sich obendrein auch noch fast rund um die Uhr um sie kümmern. Das ist so, als müsste man auf ein fremdes Kleinkind aufpassen, das kein Wort reden kann, nicht stubenrein ist, völlig ausflippt, wenn man geht, und einen beinahe umwirft, wenn man wieder zurückkommt. Ja, genau, ein stummes Kleinkind, das überall hinkackt, das man nicht selbst geboren, aber dennoch an der Backe hat.« Lauras Miene wurde immer entsetzter, je länger ich redete, also beendete ich das Hundethema schleunigst. »In deiner Wohnung könntest du
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