Kein Biss unter dieser Nummer
von »starkem körperlichen Kontakt«. Das war die freundliche Umschreibung des Teufels für »verprügele die Vampirkönigin nach Strich und Faden«. Doch in null Komma nichts hatte die unerfahrene Laura sich das nötige Wissen angeeignet und konnte ihre Kräfte ziemlich gut kontrollieren. »In null Komma nichts« heißt in diesem Fall in weniger als einem Jahr. Und jetzt musste sie mich zum Teleportieren nicht einmal mehr berühren. Ich begann mich allmählich zu fragen, ob sich Satan diese ganze Sache mit dem körperlichen Kontakt zu einer Blutsverwandten nicht einfach nur ausgedacht hatte.
»Es ist nett, dass du das sagst«, meinte der Antichrist, also setzte ich meine höflich aufmerksame Miene auf. Die Augenbrauen spielten eine wichtige Rolle dabei: Nur
leicht
anheben. Zog man sie zu weit hoch, wirkte man wie ein schlechter Schauspieler; zu wenig, und es sah aus, als wäre es einem völlig gleichgültig, was der andere sagte. Wie bei so vielem im Leben galt auch für den aufgesetzten aufmerksamen Blick die goldene Mitte.
»Aber Worte ändern gar nichts. Ein ›Tut mir leid‹ reicht nicht, um alles wieder in Ordnung zu bringen.«
»Nein«, stimmte ich zu. »Allerdings stehe ich wie ein ungehobelter Trottel da, wenn ich mich nicht wenigstens entschuldige.«
Fast hätte sie gelächelt. »Ich hab nach wie vor dieses …« Sie deutete auf das Nichts. »… Problem hier. Und ich weiß immer noch nicht, was ich tun soll. Ich sitze in der Klemme. Ich kann all dem hier nicht einfach so den Rücken zukehren, doch ich kann auch nicht den Platz meiner Mutter einnehmen. Wie soll das gehen?«
»Es tut mir leid.« Ich dachte es nicht gern, aber das Mädchen, das behauptet hatte, erwachsen zu sein, drehte sich unablässig im Kreis mit seinem »Das ist nicht fair«-Gequengel. a) Sie hatte ja recht, und b) das spielte überhaupt keine Rolle. Ja, es war nicht fair, und zugegeben, ich hatte sie in eine schlimme Lage gebracht. Wenn man an einem Spielplatz vorüberkommt, kann man die Kinder auch oft »Das ist nicht fair« schreien hören, denn das Leben ist nun einmal von Anfang an nicht fair. Kinder dürfen darüber jammern, Erwachsene müssen damit klarkommen.
Vermutlich jedoch war es noch zu früh, um sie darauf hinzuweisen.
»Tut mir leid«, wiederholte ich. »Ich weiß nicht, wie man das wieder in Ordnung bringen kann. Selbst wenn ich es wüsste, bin ich mir ziemlich sicher, dass die Lösung dieses Problems eine Nummer zu groß für mich ist.«
»Ja.« Laura nickte traurig. »Mir geht es genauso. Und du sollst spüren, wie sich das anfühlt.«
Gleich darauf verschluckte sie der graue Nebel mit einem leisen »Plopp«, und an der Stelle, an der sie eben noch ihr Bu-hu-Gejammer von sich gegeben hatte, war nichts weiter als Luft.
Der Antichrist hatte mich in die Hölle verschleppt, sich meine Entschuldigung angehört und mich anschließend kaltblütig zurückgelassen.
Plötzlich war ich ganz allein. Im Nebel. In Tinas violetten Flauschesocken.
»Ach ja?«, blaffte ich und schüttelte die Faust gegen … äh, das Nichts. »Ich nehme alles zurück, wie findest du das? Deine Mom war einfach nur grauenhaft, und ich bin froh, dass sie tot ist. Na, wie gefällt dir das? Du kannst mich hier in der Hölle verrotten lassen, aber sie wird trotzdem tot sein! Was sagst du dazu? Und überhaupt klingst du mit deinem Geknatsche von wegen ›Das ist ja alles so unfair‹ wie ein verdammtes Kleinkind. Na, was sagst du
dazu?
«
Dann erinnerte ich mich an die Beschaffenheit des Nebels und daran, dass sich dort draußen irgendwo eine Milliarde Seelen befanden, die vermutlich jedes Wort hören konnten.
Also hielt ich schnell den Mund.
18
Meine Gemahlin und meine Schwägerin waren aus der Welt verschwunden, und ich hatte sie nicht aufhalten können.
Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich es nicht einmal versucht habe. Wie ein kleines, schwaches Kind hatte ich danebengestanden und nur zugeschaut. Ich hatte mich ganz in mich zurückgezogen. Tief in meinem Innersten hatte sich schon immer dieses kleine, schwache Kind verborgen, das den Tod seiner geliebten Familie nicht hatte verhindern können, dem aber der Mut fehlte, seinen Lieben ins Jenseits zu folgen.
Jahrzehntelang war ich ihnen nicht gefolgt, und ich erwartete, dass daraus Jahrhunderte werden würden. Zum ersten Mal, nachdem ich meine Königin kennengelernt hatte, wurde mir wieder bewusst, dass die Unsterblichkeit für den Feigling ein Fluch sein konnte.
»… mein
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