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Kein Biss unter dieser Nummer

Kein Biss unter dieser Nummer

Titel: Kein Biss unter dieser Nummer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Janice Davidson
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zu werden, bis man sich in sein Schicksal ergab und sich mit ihnen unterhielt?
    Uäh. Das war ganz und gar nicht so wie in
Die Dame – oder der Tiger?
(so hieß sie doch, die Geschichte von Frank R. Stockton, oder?), übrigens die lahmste Geschichte, die ich je gelesen habe. Warum zum Teufel schreibt man denn eine Geschichte ohne wirkliches Ende? Himmel noch eins!
    »Was sagt man dazu, Betsy?«, fragte Mrs Watson. »Ist das zu fassen?«
    »Oh«, antwortete ich. Ausnahmsweise wünschte ich mir, ich hätte nicht recht behalten. »Sie nehmen tatsächlich an, dass wir uns unterhalten werden, nicht wahr?« Die Watsons waren eine meiner frühen Lektionen im Leben gewesen, bei der ich gelernt hatte, dass etwas von außen hui aussehen konnte, von innen aber pfui war. Auf diese Lektion hätte ich allerdings gern verzichtet. Und ich wünschte, auch Jessica hätte darauf verzichten können.
    »Also ehrlich«, sagte Mr Watson freundlich. »Ich denke, du wirst zustimmen, dass wir … äh … angemessen bestraft worden sind.«
    »Oh, da bin ich mir nicht so sicher«, erwiderte ich lächelnd. »Immerhin schreien Sie nicht vor Qualen, und Sie sehen auch nicht so aus, als hätte man Sie in den letzten fünfzehn Jahren über dem Feuer geröstet. Und ich kann nirgendwo Geier entdecken, die immer und immer wieder Ihre Eingeweide auffressen. Sie schieben auch keine schweren Felsbrocken einen Berg hinauf, die wieder herunterrollen und Sie platt walzen, sodass Sie sie am nächsten Tag gleich wieder hochschieben müssen.« Mein Lächeln sorgte dafür, dass ihres erst gefror und dann verschwand. Der erste angenehme Moment in diesem Höllennebel. »Im Gegenteil, auf mich wirken Sie gesund und munter. Sie scheinen sich wirklich nicht verändert zu haben.«
    »Das stimmt nicht! Wir
haben
uns verändert«, versicherte mir Mrs Watson. »Wir sind bestraft worden, und du weißt schon, wir haben … äh … wie heißt das doch gleich?«
    Ich blinzelte verblüfft. »Ist das Wort, nach dem Sie suchen, vielleicht ›bereut‹?«
    »Genau, das ist es.« Mr Watson nickte heftig. »Das ist das richtige Wort.«
    »Ach so, jetzt verstehe ich!«, rief ich, weil ich es endlich tatsächlich kapiert hatte. »Sie glauben, ich bin Ihr Freifahrtschein aus der Hölle. Sie glauben ernsthaft, ich würde Ihnen helfen, weil mir Ihre Tochter wichtig ist. Das …« Ich musste lachen und schüttelte den Kopf. »Das ist ein guter Witz.«
    »Uns ist unsere Tochter ebenfalls wichtig«, schnappte Mr Watson.
    »Und wir sitzen seit unserem Tod hier fest. Das Leben ist ohne uns weitergegangen.«
    »Das will ich meinen. Wussten Sie, dass wir jetzt einen afroamerikanischen Präsidenten haben?«
    »Das wissen wir«, antworteten sie einstimmig in mürrischem Ton. Beiden war im Gesicht abzulesen, dass sie nicht fassen konnten, was sie da verpasst hatten.
    »Erinnere mich bloß nicht daran!«, murmelte Ant, für den unwahrscheinlichen Fall, dass ich mich mit drei Miststücken abgeben wollte statt nur mit zweien.
    »Er wurde wiedergewählt«, erinnerte ich meine Stiefmutter und erntete dafür ein Augenrollen. Wie nett!
    »Und du! Wem willst du hier was vormachen?« Mrs Watson streckte einen Finger in Richtung Ant aus, dessen Nagel mit einem glitzernden rotbraunen Lack bemalt war – eine Farbe, die wie getrocknetes Blut wirkte. Glänzendes, getrocknetes Blut. Wenigstens waren
ihre
Nägel echt. »Du warst dir nicht zu schade, uns Honig um den Mund zu schmieren, als du in unsere Clique aufgenommen werden wolltest.«
    Und ihr habt keine Ahnung von den schauspielerischen Fähigkeiten, die sie sich aneignen musste, um sich so scheinheilig zu geben, dachte ich, sagte es aber nicht.
Und was sollte überhaupt das Gefasel von »unsere Clique«? Sind die gehobenen Spendensammlerkreise etwa so etwas wie eine Neuauflage von alten Highschool-Cliquen?
    Oh Gott! Was, wenn das stimmte? Ich sollte Jessica vorwarnen. Diese Leute riefen ständig bei ihr an …
    »Jedes Mal, wenn wir eine Party für die bedeutenden Persönlichkeiten der Stadt gegeben haben, konnte ich mir sicher sein, dass sich die zweite Mrs Taylor irgendwie eine Einladung erschleichen würde.«
    »Das stimmt«, erwiderte Ant. Zum ersten Mal seit … nein, zum ersten Mal überhaupt … faszinierte mich ihr Benehmen. Sie benahm sich keineswegs so, als hätte man sie in die Ecke gedrängt, auch nicht so, als wäre ihr die ganze Sache peinlich oder unangenehm. Ganz im Gegenteil – sie strahlte gemäßigte Langeweile aus. Als wollte sie

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