Kein Bisschen ohne dich
mich flehentlich an. »Was sagst du dazu, mein Liebling, meine Rayne?«
Was ich dazu sage? Was ich verdammt noch mal dazu sage? Wie wär's damit, dass er nicht mal meinen richtigen Namen kennt? Dass er mich für meine Schwester hält? Dass ich überhaupt kein Vampir werden soll? Mein Herz hämmert in einem wilden Technobeat, während ich verzweifelt überlege, was um alles in der Welt ich ihm sagen soll. Dass ich aus einer anderen Zeit komme. Dass er mich in Wirklichkeit gar nicht kennt. Dass ich mir nicht sicher bin, ob ich überhaupt jemals ein Vampir werden will, geschweige denn genau jetzt in dieser Sekunde!
Und außerdem, selbst wenn ich eines Tages beschließen sollte, dass ich ein Vampir werden will, wäre es trotzdem nicht richtig, es unter Vorspiegelung falscher Tatsachen zu tun. Ich kann nicht eine lebenslängliche - ja sogar ewige -
Verpflichtung eingehen mit jemandem, den ich die ganze Zeit belogen habe. Was würde passieren, wenn er nach meiner Verwandlung die Wahrheit herausfände? Oh Gott, er wäre vielleicht so wütend, dass er nie wieder mit mir sprechen würde. Und dann wäre ich bis in alle Ewigkeit allein, gefangen im Körper eines Ungeheuers, das ich niemals sein wollte.
Aber wie soll ich ihm das erklären? Er denkt, ich hätte bereits mein Vampirzertifikat. Dass ich auf einer Warteliste gestanden und Verträge unter-schrieben habe. Er denkt, ich sei wild entschlos-sen, ein Geschöpf der Nacht zu werden - und alles, worüber wir streiten, sei eine Frage von ein paar Wochen. Nicht eine Frage von Leben und Tod!
Auch wenn ich mir hundertprozentig sicher bin, dass ich mit Magnus zusammen sein will, und mich danach sehne, dass er mich so sehr liebt, wie ich ihn liebe, ist die ganze Angelegenheit im Endeffekt keine gute, sondern eine ganz schreckliche Idee.
»Es.. . es tut mir leid«, sage ich endlich und ich finde es furchtbar, wie er bei meinen Worten in sich zusammensackt. »Ich glaube nicht, dass jetzt ein guter Zeitpunkt ist. Ich meine, es ist so viel los. Dieses ganze Chaos mit Slayer Inc. Und der Start von Projekt Z . . . ich will nicht, dass wir etwas überstürzen. Ich will das Besondere der Situation nicht opfern, nur weil wir das Gefühl haben, von den Jägern unter Druck gesetzt zu werden. Sie sollten uns das nicht wegnehmen dürfen.« Ich werfe ihm einen inständigen Blick zu. »Das verstehst du doch, oder?«
Er nickt langsam, obwohl seine Augen verraten, wie enttäuscht er ist. Das Herz tut mir weh bei dem Gedanken, ihn zu verletzen, aber ich kann es nicht ändern. »Ich will trotzdem mit nach Las Vegas kommen«, versichere ich ihm. »Ich will trotzdem an deiner Seite sein.«
»Ich weiß«, erwidert er und nimmt mich in die Arme. »Und du hast natürlich recht. Es gibt keinen Grund, etwas zu überstürzen. Ich weiß, das ist eine gewaltige Veränderung in deinem Leben, und ich will, dass es für dich so besonders ist wie nur möglich.« Er löst sich aus der Umarmung und lächelt mich schuldbewusst an. »Ich schätze, ich brenne einfach darauf, es offiziell zu machen. Ist das so falsch?«
Ich stoße einen Seufzer der Erleichterung aus.
Oh, Gott sei Dank. Ich habe mir noch ein bisschen Zeit verschafft.
»Gute Dinge geschehen denen, die geduldig warten«, gelingt es mir zu witzeln, obwohl mir tief drinnen immer noch ein bisschen übel ist, wenn ich daran denke, wie knapp ich entkommen bin.
Wie lange kann ich ihn noch hinhalten?
Er lacht. »Ich nehme an, du hast recht«, sagt er.
»Du hast immer recht.«
Aber als er sich vorbeugt, um seine Lippen sanft auf meine zu drücken, drängt sich mir der Gedanke auf, dass ich ganz schrecklich unrecht habe.
16 Rayne
Der Wind wirbelt um mich herum und zerzaust mir das Haar, als ich durch eine dunkle verlassene Gasse gehe, die erfüllt ist von waberndem Rauch aus einem Entlüftungsschacht. Dicke Wolken verdecken die Sonne, sodass eine düstere Stimmung über der Szene hegt wie in einem Film noir. Die Temperatur ist gefallen und ich schaudere und schlinge die Arme um den Körper. Einen Moment lang frage ich mich, wo ich bin. Und wohin ich gehen soll.
Plötzlich durchschneidet ein Schrei die Luft und ich bleibe wie angewurzelt stehen. Ein Mädchen im Teenageralter mit langem blondem Haar kommt um die Ecke gerannt und fuchtelt hektisch mit den Händen vor dem Gesicht. Ihre Augen sind so groß wie Unterteller, ihr Mund ist verzerrt vor Angst. Sie rennt in mich hinein und reißt mich mit der Wucht ihres Sturzes rückwärts. Während ich
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