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Kein Blick zurueck

Kein Blick zurueck

Titel: Kein Blick zurueck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Horan
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begreifen, dass er nicht bei Catherine bleiben würde. Was sollte dann aus ihr werden, neben einer Schwiegertochter, die er verlassen hatte? Nein, die Mutter musste erneut ihr Schicksal mit dem ihres Sohnes zusammentun, aus Loyalität, gewiss, aber auch, weil sie keine andere Wahl hatte.
    Und nach dem zu urteilen, was Mamah Franks spärlichen Details entnehmen konnte, hatte Anna in dem einen großen Spiel ihres Lebens auf das falsche Pferd gesetzt. Bei ihrer Heirat hatte sie auf einen charmanten, musikalisch begabten, verwitweten Prediger gesetzt. Sobald Anna und William Wright eigene Kinder hatten, hatte sie seine Kinder aus dem Haus geschickt, damit sie bei der Familie ihrer verstorbenen Mutter lebten. Doch Franks Vater hatte sich als ein ruheloser Geist erwiesen und war von einer schlecht bezahlten Gemeinde zur nächsten durch die Lande gezogen. Als sie eines Tages genug davon hatte, verstieß Anna William aus ihrem Leben. Verbannte ihn in ein Bett auf dem Dachboden, hörte auf, ihn zu versorgen, und legte ihm nahe, die Scheidung einzureichen.
    Wie demütigend für eine Frau wie Anna, auf die Almosen ihrer Brüder angewiesen zu sein, denen das Land gehörte. Als sie Frank nach Chicago gefolgt war, hatte Anna eine Abhängigkeit gegen die andere eingetauscht. Und jetzt befand sie sich aufs Neue im Tal der allmächtigen Joneses.
    Vielleicht verschaffte sich Anna hier nach dem Skandal in den Zeitungen eine Atempause. Mamah hatte Annas Briefe an Frank gesehen und wusste, wie tief diese öffentliche Demütigung sie gekränkt hatte. In das geliebte Tal ihrer Familie zurückzukehren, dieses Mal als anteilige Besitzerin – immerhingehörte Frank ein Teil dieses Landes –, musste ihre Würde teilweise wiederhergestellt haben. Und da Jennies Haus nur einen Steinwurf entfernt lag, dürfte es ihr eine gewisse Genugtuung verschafft haben, endlich selbst Anspruch auf einen Teil der Jones’schen Dynastie zu erheben.
    Als sie Frank damals in Berlin zugehört hatte, wenn er Bilder vom Leben in Taliesin heraufbeschwor, hatte Mamah Anna Wright allerdings nicht in dieses Bild eingefügt. Inzwischen ging ihr auf, dass, wenn Taliesin erst einmal fertig wäre, Madame Wright in ihrem Leben möglicherweise eine sehr präsente Größe darstellen würde.
    Als Anna wieder in der Küche erschien, um den Eintopf zu überprüfen, versuchte Mamah es erneut. »Frank sagt, Sie seien eigentlich diejenige, die ihn zur Architektur hingeführt hätte.«
    »Ich habe um sein Kinderbett herum Bilder von Kathedralen aufgehängt«, sagte Anna. Sie rührte mit einem Sieblöffel in dem dampfenden Topf. »Und natürlich habe ich ihn mit den Fröbel-Holzbausteinen bekannt gemacht, mit denen er gespielt hat, als er größer wurde.«
    Mamah erinnerte sich an eine Bemerkung, die Catherine vor langer Zeit einmal auf einer Einweihungsparty gemacht hatte: »Seine Mutter rechnet sich sein Genie als ihr Verdienst an. Das macht mich einfach wütend.«
    »Das ist ungewöhnlich für eine Mutter«, sagte Mamah beflissen zu Anna. »Es war sehr aufgeklärt.«
    »Nun, mit Sicherheit war es 1867 nicht üblich, als er geboren wurde, aber ich hatte von Anfang an das Gefühl, dass dieses Kind Dinge sah, die andere nicht sahen.«
    »Sagten Sie 1867?«
    »Ja. In Richland Center.«
    Mamah drängte nicht weiter, doch Frank hatte behauptet,er sei 1869 geboren worden. Sie betrachtete prüfend das Gesicht der Frau. Anna muss mindestens fünfundsiebzig sein , dachte sie. Möglicherweise wird sie langsam senil; das würde ihre ständige Gereiztheit erklären. Mamah erinnerte sich an die beginnende Demenz ihrer Großmutter, an das Verwechseln von Zeiten und Daten, an ihre Wutausbrüche. In diesem Moment empfand sie für Anna Wright einen Anflug von Zärtlichkeit.
Kapitel 36
    September 1911
    Frank Wright – was für eine Freude und was für ein Rätsel Du doch bist. Morgens und abends ertappe ich Dich dabei, wie Du in der Fensternische sitzt und aufmerksam ins Tal hinabschaust. Ich weiß, was du tust. Du beobachtest die Farbenfolge beim Verfärben der Blätter. Du denkst an Pflaumenbäume und Rebstöcke. An Kühe auf den Hängen. Welche sehen am malerischsten aus? Wir können in Taliesin nicht einfach irgendwelche Kühe haben. O nein. »Vor diesen smaragdgrünen Hügeln kommen nur schwarzbunte Holsteiner in Frage«, sagst du mir.
    Im nächsten Moment bist Du schon auf den Beinen und zerrst mich hinunter zum Fluss. Kümmere Dich nicht um das Abendessen. Komm, wir gehen fischen. Du

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