Kein Blick zurueck
Anekdoten aus seiner Kindheit, während er am Tisch saß und sichschmunzelnd die alten Geschichten anhörte, als amüsierte er sich tatsächlich. Franks Schwestern, Jennie und Maginel, traten darin gewöhnlich als Nebendarstellerinnen auf, und dennoch lächelte Jennie, wenn sie diese alten Geschichten hörte.
Frank war unter Frauen aufgewachsen, und sie alle himmelten ihn an. Seine Schwestern und Anna – besonders Anna – waren seit der ersten Minute in ihn vernarrt. Mamah fühlte sich wie eine reife Braut, die in einen Haushalt kam, in dem der Bräutigam schon seit ehedem Mutters Augapfel war. Für sie war dies eine neue Erfahrung, da Edwins Mutter sich aus irgendeinem Grund immer nach ihr gerichtet hatte.
Frank hatte Mamah darauf eingestimmt, dass seine Mutter sie akzeptieren würde, doch bei dieser Vorstellung handelte es sich offensichtlich um Wunschdenken. Allerdings hatte selbst Mamah sich eine bessere Beziehung ausgemalt. Sie hatte Anna als weise Mutter in ein romantisches Licht getaucht – als eine Frau, die sich bei der Erziehung ihres Kindes von dessen Temperament und Interessen leiten ließ. Schon nach wenigen Stunden in Annas Gesellschaft fragte sie sich jedoch, wie um alles in der Welt sie es aushalten sollte, ein Haus mit ihr zu teilen, denn Frank hatte eines der Schlafzimmer in ihrem Haus für seine Mutter vorgesehen.
Am nächsten Tag, einem Montag, war es so schwül und glühend heiß, dass jedermann schlecht gelaunt war. Mamah backte gerade Brot und Kuchen, als Franks Mutter in der Küche auftauchte. Als sie sah, dass sie einen Kuchen ausrollte, bedachte sie Mamah mit einem langen, kalten Blick. Anna hielt nichts von Zucker, außer er wurde im Zuge eines Hausmittelchens verabreicht, vielleicht in einem Hustensirup.Mehr als einmal hatte sie den Gedanken geäußert, dass manche »Leute« anderen schadeten, indem sie Kuchen und Torten backten. Mamah hatte geglaubt, das Vollkornbrot würde bei ihr Gefallen finden, da es nach einem ihrer eigenen Rezepte gebacken war. Doch die alte Frau ließ kein Zeichen der Wertschätzung erkennen, als sie zusah, wie es in den Ofen geschoben wurde.
Anna kochte gerade Kaffee, als Lil mit den Tagesvorräten aus der Stadt hereinkam. Als Mamah und die Köchin sechs Kisten mit Lebensmitteln ins Haus trugen, ging Franks Mutter geradewegs darauf zu, um das Gemüse einer kritischen Musterung zu unterziehen.
»Für diesen schrecklichen Kohl können Sie unmöglich etwas bezahlt haben«, sagte sie, und ihre Stimme klang ätzend wie Säure. »Er ist von Insekten verseucht.«
»Etwas anderes hatten sie nicht«, sagte Lil. »Heute ist Montag. Das Gemüse wurde am Samstag geliefert.«
»Sie haben nicht den vollen Preis dafür bezahlt, oder?«
»Doch.«
»Wenn so etwas der Fall ist, handelt man«, schnauzte Anna, »oder man kauft es überhaupt nicht.«
Lil blieb wie angewurzelt stehen. »Etwas anderes gab es nicht. Was würden die Männer essen, wenn ich ihn nicht gekauft hätte?«
Anna antwortete nicht. Sie wühlte weiter in den Kisten. »Was ist denn das ?« Sie hielt ein paar Zwiebeln hoch. »Sie sind feucht , als wären sie aus dem Wasser gezogen worden.« Sie nahm einen Bund kleiner Kohlrabi heraus, deren Kraut verwelkt war. »Wie haben Sie es geschafft, im September so welkes Gemüse aufzutreiben? Die hier sind völlig verschimmelt .«
Lil starrte die alte Frau böse an. »Dann schälen wir sie.«
Diese Bemerkung versetzte die alte Frau in Wut, und sie warfdie Kohlrabi in den Abfalleimer. »Jeder weiß, dass die Schale das Wichtigste ist.«
Lils Augen waren aufgedunsene, schmale Schlitze, die ihrem Gesicht einen schwerfälligen Ausdruck verliehen, doch Mamah wusste, dass sie keineswegs dumm war. Sie sah aus wie viele Frauen auf dem Land, mit rot gescheuerten Händen von einem Leben mit Seifenlauge und Knochenarbeit. Sie war vielleicht erschöpft, doch niemand, den man herumschubsen konnte. Lil zog die Lebensmittelrechnung aus ihrer Tasche und knallte sie auf die Arbeitsfläche. »Sie schulden mir fünf Dollar.« Sie quittierte Annas vernichtenden Blick mit einem ebensolchen Blick ihrerseits.
»Nun«, erwiderte Anna, »wir werden sehen, was Mr. Wright dazu zu sagen hat. Ich für meinen Teil bezahle nicht für ein schlechtes Urteil.«
Lil riss ihre Schürze herunter und schleuderte sie auf den Fußboden. Sie stürmte zur Tür hinaus und sprang in ihren Pick-up. Mamah sah zu, wie das zerbeulte Vehikel, eine braune Staubfahne hinter sich herziehend, die Straße
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