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Kein Blick zurueck

Kein Blick zurueck

Titel: Kein Blick zurueck
Autoren: Nancy Horan
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Akademiker verwenden es.«
    »Es tut mir leid.«
    »Es muss dir nicht leid tun. Aber ich möchte, dass du mich verstehst. Niemand hat mich beeinflusst. Warum sollte ich die Japaner oder die Azteken oder sonst jemand kopieren, wenn ich selbst etwas Schönes schaffen kann? Es kommt alles von hier.« Er tippte sich mit dem Finger an die Schläfe. »Und aus der Natur.«
    »Das weiß ich«, sagte sie. Es gefiel ihr nicht, von Frank zurechtgewiesen zu werden. »Es war einfach nur das falsche Wort.« Mamah wandte sich wieder den Drucken zu. »Dieser hier gefällt mir.« Sie studierte das Bild einer Kurtisane, die sich auf einem Bett zurücklehnte und ein Buch las.
    »Dann gehört es dir.«
    Sie war nervös, als sie den Druck an diesem Tag mit nach Hause nahm. Sie legte ihn zwischen die Seiten eines großen Bildbandes, wo Ed ihn niemals finden würde.
    Als Catherine Mamah und Edwin Anfang August zum Abendessen einlud, sah Mamah keine andere Möglichkeit, als die Einladung anzunehmen. Sie hatte Catherine seit Wochen nicht mehr gesehen. Nach dem Abendessen, als die Männer ins Studio gegangen waren, machten es sich die Frauen im Wohnzimmer bequem. Sie sprachen über Neuigkeiten aus dem Club, über ihre Kinder und über die Bücher, die sie gerade lasen. Irgendwann stand Catherine auf und nahm ein Buch aus dem Regal.
    »Hast du das schon einmal gesehen?«, fragte sie. Sie hieltein Exemplar von House Beautiful in den Händen. »Du kennst doch Reverend Gannett, nicht wahr? Frank hat für dieses Buch seine Essays illustriert. Das muss ’96 gewesen sein«, überlegte sie. »Es war unsere Bibel damals.«
    Catherine blätterte in dem Buch und verlor sich in Reminiszenzen an die frühen Tage ihrer Ehe, als Frank ihr gemeinsames Haus gebaut hatte. »Er wollte über jeden Türsturz ein Sprichwort schnitzen lassen. Ich sagte: ›Nur eins.‹ Frag mich nicht, woher ich den Mut nahm, mich ihm zu widersetzen – du kennst ja Frank –, aber es klappte. Wir waren jung und verliebt, und er gab nach.«
    Mamah betrachtete die vertrauten Worte über dem Kamin. Leben ist Wahrheit.
    »Wie hast du Frank kennengelernt?«, fragte sie aus einem Impuls heraus und war auf der Stelle über ihre perverse Neugier entsetzt.
    »Bei einem Kostümball in der Kirche seines Onkels Jenk im Süden Chicagos«, sagte Catherine, »ganz in der Nähe von dort, wo ich aufgewachsen bin.« Bei der Erinnerung breitete sich ein Lächeln auf ihrem Gesicht aus. »Wir waren alle als Charaktere aus Die Elenden verkleidet. Frank erschien als Offizier mit Epauletten und Degen. Ich stellte ein französisches Dienstmädchen dar. Es war bei einer Polka, glaube ich, als alle den Partner wechselten und wir zusammenstießen. Wir rissen uns buchstäblich gegenseitig den Boden unter den Füßen weg.«
    Catherine blätterte bis zur Rückseite des Buches. »Hier ist dieses Gedicht, das Reverend Gannett zitiert, ›Togetherness‹; es ist wunderschön. Es wurde von einer Frau geschrieben, die mit ihrem Mann bis zu dessen Tod nur elf Jahre hatte. Ist das nicht traurig? Hier, lies. Ich kümmere mich so lange um das Dessert.«
    Mamah hatte das Buch auf ihrem Schoß liegen. Sie sah sichselbst von außen, auf demselben Stuhl, in dem sie schon so viele Male gesessen hatte. Das Zimmer hatte sich nicht verändert. Catherine hatte sich nicht verändert. Sie war es, die sich verändert hatte und die mit einem einzigen kühlen Blick die Schwächen im Haushalt ihres Geliebten ausmachen konnte.
    Sie sah jetzt, dass in den Gegenständen dieses Hauses so gut wie keine Spur von Catherine erkennbar war – jeder Zentimeter darin zeugte von Franks Auge, angefangen bei dem Stuckfries, der unterhalb der Decke den Raum einfasste und Könige und Riesen aus der Mythologie im Kampf darstellte, bis zu den moosfarbenen Samtvorhängen zu beiden Seiten des eingebauten Kamins. Doch in den Bewegungen des Hauses, im Kommen und Gehen der Kinder auf der Suche nach ihrer Mutter, den Geräuschen des Hauses bestand keine Frage, wer hier den Ton angab.
    Mamah überflog das Gedicht rasch bis zur letzten Strophe.
    Zusammen grüßen wir des Lebens feierliche Größe,
    Zusammen gehört uns das erträumte Ideal,
    Zusammen lachend, schmerzt es uns,
    Durchstreifend den Gedanken – »Um einander willen«,
    Und Hoffen über Hoffen – für den neuen Weltgeist,
    Weiter, immer weiter gehen wir zusammen.
    »Kitsch«, murmelte sie vor sich hin.
    Und doch wurde sie von Übelkeit gepackt, als Catherine mit dem Dessert zurückkam, und sie
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