Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kein Blick zurueck

Kein Blick zurueck

Titel: Kein Blick zurueck
Autoren: Nancy Horan
Vom Netzwerk:
dieselbe Unabhängigkeit hatte er auch in seinen Kindern gefördert.
    Frank war genauso. Seine Augen, seine Ohren und sein Herz waren darauf ausgerichtet, die Wahrheit dort zu suchen, wo andere Menschen es nicht taten. Darin und in vielen anderen Dingen empfand sie ihn als ihren Seelenverwandten.
    Unter die düsteren winterlichen Gedanken notierte sie folgendes Datum in ihr Tagebuch:
    20. August 1907
    Ich habe mich im Leben abseits gehalten und es vorbeiziehen sehen. Ich möchte im Fluss schwimmen. Ich möchte die Strömung spüren.
Kapitel 6
    »Hier geht etwas Seltsames vor«, sagte Lizzie. Es war ein strahlender Oktobermorgen, ein Samstag, und sie stand am Herd und wartete darauf, dass der Rand eines Spiegeleis sich in dem Schinkenfett in braune Spitze verwandelte.
    Mamah blickte von ihrer Zeitung auf. »Was meinst du damit?« Sie spürte, wie sich in ihrem Magen ein Knoten bildete.
    »Auf Seite drei, glaube ich. Irgendwelche Männer gehen von Haus zu Haus und verkaufen künstliche Sahnebutter. Direkt hier in Oak Park. Ist dir etwas aufgefallen?«
    Mamahs Schultern entspannten sich wieder. »Nein.«
    »Wir müssen es Louise sagen, wenn sie am Montag kommt, damit sie die Tür nicht aufmacht.«
    »Was machst du heute?«
    »Ich gehe mit Jessica ins Kino«, sagte Lizzie und wendete das Ei.
    »Du bist ein Schatz, Liz.« Sie hatten das Mädchen nach Jessies Tod gemeinsam aufgenommen, aber eigentlich war es Lizzie, die Mutterstelle an ihr vertrat.
    »Willst du mitkommen?«
    »Nein. Ich gehe heute Nachmittag zur Universität.«
    Mamah blinzelte nicht einmal bei dieser Lüge. Die Täuschung fiel ihr leicht; inzwischen war sie ihr beinahe zur Routine geworden. Frank würde sie in seinem Büro erwarten, vielleicht hätte er Blumen für sie gekauft, oder es würde Tee und Sandwiches geben, die er aus einem Restaurant kommen ließ.
    »Robert Herrick spricht in einer neuen Reihe über die Neue Frau«, erzählte sie Lizzie. »Edwin nimmt die Kinder mit in den Zoo.«
    »Catherine weiß Bescheid«, sagte Frank. Sie lagen auf dem Teppich. Mamah hörte irgendwo einen Geiger Tonleitern üben.
    Sie setzte sich auf und sah ihn an. Seine Augen waren geschlossen. »Deshalb bist du so still.«
    »Sie will nicht sagen, wie sie es herausgefunden hat.«
    »Was hast du ihr erzählt?«
    »Ich habe ihr die Wahrheit gesagt. Ich habe sie um die Scheidung gebeten.«
    Mamah nahm seine Hand und drückte sie. Es hatte so kommen müssen. Sie griff nach ihrem Unterrock.
    »Steh noch nicht auf«, sagte er. »Bleib hier bei mir.«
    Im Zimmer war es hell und kühl. Sie zog eine zusammengelegte Umzugsdecke von einer Kiste und deckte sich damit zu. Ihre Arme und Beine waren von Gänsehaut überzogen. »Catherine wird es für sich behalten«, sagte er grimmig. »Sie ist zu stolz, um jemandem davon zu erzählen.«
    Mamah stellte sich eine schluchzende Catherine vor. EineCatherine, die ihrem Ehemann The House Beautiful an den Kopf warf. Eine Catherine, die mit einem Hammer auf eine Leiter kletterte und die entzückenden Figuren in ihrem Wohnzimmerfries zerschmetterte. Bei dem Gedanken, was Catherine wohl am liebsten mit ihr – einer Frau, die sie für ihre Freundin gehalten hatte – angestellt hätte, überlief es sie kalt.
    Mamah wand sich bei dem Gedanken an diesen Verrat. Aber ich habe ihr Frank nicht gestohlen, argumentierte sie. Seine Ehe war schon lange nicht mehr gut, es war möglich, dass er vorher mit anderen Frauen Verhältnisse hatte. Sie hatte ihn nie mit Fragen bedrängt, denn sie hatte es nicht wissen wollen. Und doch bot gerade diese Möglichkeit jetzt einen gewissen Trost.
    »Ich werde es Edwin sagen«, sagte sie.
    In den letzten beiden Monaten hatten sie und Frank häufiger darüber gesprochen, es einfach zu sagen und um Scheidung zu bitten. Das war es, was sie beide sich wünschten, in Ehren miteinander zusammenzuleben. Menschen ließen sich heutzutage scheiden, es war nicht so, dass man noch nie davon gehört hätte. Im Restaurant, bei ihren Spaziergängen am Ufer des Michigansees, bei ihren Fahrten über Land hatten sie darüber gesprochen, wie es gehen könnte, wie sie in Chicago leben könnten und sie ihre Kinder irgendwie bei sich behalten könnte. Falls Edwin zustimmte, falls Catherine zustimmte…
    Aufzustehen und sich zu bewegen gab ihr ein Gefühl der Entschlossenheit. Sie zog sich an, dann beugte sie sich über den Tisch und rieb sich die Arme. »In gewisser Weise bin ich erleichtert«, sagte sie nach einer Weile. Sie schlang ihr
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher