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Kein Blick zurueck

Kein Blick zurueck

Titel: Kein Blick zurueck
Autoren: Nancy Horan
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diesen Wochen ihr Zimmer betreten und es wieder verlassen, hatte ihr das Baby gebracht, als wäre alles in Ordnung. Im März war Mamah allmählich wieder aus ihrer Melancholie erwacht. Einer ihrer ersten Ausgänge führte sie in den Club, wo sie sich Franks Rede anhören wollte.
    Bei der Lektüre ihres Tagebuchs fragte sie sich, ob er ihre Verletzlichkeit genauso wahrgenommen hatte, wie sie selbst sie jetzt wahrnahm. War ich einfach nur eine leichte Beute – leicht zu pflücken?
    Bei ihrem nächsten Treffen stellte sie ihm unumwunden diese Frage. Sie saßen in einer Seitenstraße im Süden der Stadt in seinem Wagen.
    »Mamah, hier hat etwas so Gutes begonnen. Nimm ihm nicht mit solchen Fragen seinen Glanz. Du glaubst doch nicht wirklich, dass es falsch ist, oder?«
    »Frag mich das nicht. Frag mich, ob ich glücklich bin.«
    »Die Antwort darauf kenne ich bereits.«
    Sie fühlte sich beinahe angeschwollen von einer Freude, die auf jeden Teil ihres Lebens überschwappte. Sie staunte über Marthas süßen Babyduft und ihre winzigen, beinahe durchsichtigen Fingerchen. Mamah konnte ganze Nachmittage mit John und seinem Freund Ellis von nebenan spielen, sich im Vorgarten hinter den Büschen verstecken, bis sie sie fanden. Sie backte Kuchen oder lud die Nachbarskinder ins Auto und brachte Essen zu Menschen, die krank waren oder gerade ein Kind bekommen hatten. Lizzie las ihr von einem Botenjungen vor, der beim Zusammenstoß seines Pferdes mit einem Auto verletzt worden war. Mamah machte die Adresse des Jungen ausfindig und brachte einen Umschlag mit zwanzig Dollar vorbei.
    Edwin war über ihre Veränderung zutiefst erleichtert. Er sagte, sie sei schöner denn je. Wenn seine Hand im Bett nach ihrer Hüfte tastete, wandte sie sich nicht ab. Sie ließ ihm sein Vergnügen und schickte ihre Gedanken auf Wanderschaft. Anfang des Sommers hatte sie gedacht, Es kann nicht dauern; es ist unmöglich. Zusammen haben wir neun Kinder, von Catherine und Edwin ganz zu schweigen. Mamah wusste, ihre Kinder würde sie niemals im Stich lassen. Doch für eine Weile etwas zu haben, das so perfekt war, etwas, das nur einem selbst gehörte… wer würde dadurch Schaden nehmen, wenn niemand es jemals herausfand? Man lebt nur einmal in der Welt.
    Gegen Ende des Sommers gestand sie sich das Offensichtliche. Sie liebte ihn mit jeder Faser ihres Körpers. Sie freute sich über alles an ihm – über sein unbändiges Lachen, die fröhlichen Augen, die fast immer dreinblickten, als hätte er gerade eine besonders witzige Pointe gehört, seine Präsenz in jedem wachen Moment. Sie liebte die Art und Weise, wie er ihr in unerwarteten Momenten mit dem Handrücken impulsiv über die Wange strich.
    Er gab ihr das Gefühl, lebendig zu sein und zärtlich geliebt zu werden. Er traf sich selten mit ihr, ohne an eine kleine Überraschung zu denken. Dann hielt er seine geschlossene Faust über ihre geöffnete Handfläche und sagte, sie solle die Augen zumachen. Wenn sie sie wieder öffnete, fand sie in ihrer Hand vielleicht ein in Folie gewickeltes Stück Schokolade oder ein Knöchelchen von einem Vogel, dessen gitterförmiger Aufbau ein Gespräch über Aerodynamik in Gang setzte.
    Sie liebte Franks bewegliches Denken – dass er seine Tage damit verbrachte, geometrische Formen zusammenzufügen, und sich dennoch schriftlich gewandt auszudrücken vermochte und auch noch herzergreifend schön Klavier spielen konnte. Was seine außergewöhnliche Seele anging, so musste man sich nur die Häuser ansehen, die er entworfen hatte, um sie vor aller Welt bloßgelegt zu finden.
    Mamah erkannte, dass sie ihn aus genau den Gründen mochte, die andere zusammenzucken ließen. Er sagte furchtlos seine Meinung. Und er war tatsächlich exzentrisch, doch es war eine Exzentrizität, wie sie sie an ihrem Vater bewundert hatte. Jemand, der wie Frank so sehr in Harmonie mit der natürlichen Ordnung lebte, und damit eigentlich ein jeder, den man dazu erzogen hatte, sich nicht nach gängigen Meinungen zu richten, war von gesellschaftlichen Regeln nur schwer im Zaum zu halten. Auch ihr Vater hatte sich mit der natürlichen Ordnung in Einklang gefühlt. Er hatte sich mehr für die Gewohnheiten von Wespen interessiert als für die Politik in Oak Park. Er hatte sich keinen Deut um Moden geschert oder um die Meinung, die seine Nachbarn zu den Ziegen hegten, die er in seinem Vorortgarten hielt. Er war ein »Einer«, wie er eigensinnige Nonkonformisten nannte, wie er selbst einer war, und
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