Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kein Blick zurueck

Kein Blick zurueck

Titel: Kein Blick zurueck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Horan
Vom Netzwerk:
dich entscheiden, was für ein Mensch du sein willst. Du kannst so weitermachen, von einer finanziellen Krise zur anderen. Du kannst weiter Menschen betrügen und dich lächerlich machen mit deinem Gerede, dass du an dich höhere Standards anlegst, als der normale Mann das tut. Oder du kannst dich tatsächlich an dein Gerede halten.«
    Als sie am Kutschenhaus ankamen, blieben sie vor der Eingangstür stehen. »Komm wieder nach Hause«, sagte er.
    Sie setzte sich auf das niedrige Mäuerchen, um den Sand von ihren Schuhen zu wischen. Als sie aufblickte, schienen die braunen Ringe um seine Augen sich verdunkelt zu haben.
    »Nein«, sagte sie, »du brauchst Zeit, um über all die Dinge nachzudenken, die in Ordnung gebracht werden müssen. Es sind keine Kleinigkeiten, zu denen du dich verpflichtest, wenn du mit mir zusammenbleiben willst.«
    In den darauffolgenden Tagen spazierte Mamah durch die Straßen Chicagos und war dankbar für die Anonymität, die sie ihr gewährten. Es war erfrischend, sich unter all diesen Menschen zu bewegen, die mit offenen Gesichtern ihrem Alltag nachgingen. Sie und Frank waren verschroben geworden in ihrer Isolation und Selbstversunkenheit. In dieser Woche ging sie in die Bibliothek und las Gedichte. Zufällig stieß sie auf ein paar Worte von Wordsworth: »EineDunkelheit / wie rätselhaftes Kunstwerk gibt es / die die widerstreitenden Dinge versöhnt / sie zu Gemeinsinn fügt.« Frank war sich selbst genug, eine Ein-Mann-Band aus transzendentaler Harmonie und misstönenden Becken.
    Sie hatte schon immer geglaubt, dass seine Seele in seiner Arbeit sichtbar wurde. Dass er war, woran er glaubte, seinen Idealen so treu, wie ein Mensch dies nur sein konnte. Welch dunkles, unergründliches Werk hatte solche Löcher in sein Gewissen geschlagen? Log Frank, weil er unsicher war, weil er nie eine formale Ausbildung abgeschlossen hatte? Beförderte er sich zu einem naturgegebenen Genie, weil es ihm an einem Universitätsdiplom mangelte?
    Das war möglich, wenn auch unwahrscheinlich. Er besaß ein enormes Vertrauen in seine Begabung. Sie dachte an die Geschichte, die Catherine immer wieder erzählt hatte, als sie jung verheiratet gewesen waren. Der große Daniel Burnham war auf Frank zugekommen und hatte sich erboten, ihn nach Paris zu schicken, um ihn dort an der École des Beaux Arts ausbilden zu lassen. Es war eine außerordentliche Ehre, von einem so mächtigen und herausragenden Architekten solcherart aus der Menge auserwählt zu werden. Es hätte Frank und Catherine und ihren Kindern ein bequemes Leben gesichert.
    »Und Frank sagte nein«, sagte Catherine dann in scheinbarer Verzweiflung, wenn sie diese Geschichte erzählte. Die beiden Male, als Mamah diese Geschichte gehört hatte, hatte sie unter den Gästen Belustigung hervorgerufen, die fröhlich darüber spekulierten, wie Oak Park denn wohl aussähe, wenn Frank eine klassische Ausbildung genossen hätte. Was für ein Mut für einen jungen Mann, hatte Mamah gedacht. Welch ein Vertrauen in den eigenen künstlerischen Instinkt. Wie oft hatte sie ihn sagen hören Ich bin lieber ehrlich arrogant als heuchlerisch bescheiden? Es bedurfte einer Haltunginnerer Überlegenheit, nicht den Belohnungen zu erliegen, die das Establishment für einen bereithielt, wenn man sich mit ihm verbündete.
    Unglücklicherweise war diese Haltung zu seinem Charakter geworden; er glaubte es inzwischen selbst. Er war an einem Punkt angelangt, an dem er sein Talent fälschlicherweise für seinen ganzen Charakter hielt.
    Der Gedanke an die Geschichte mit Daniel Burnham brachte Mamah hartnäckig wieder Catherine Wright in Erinnerung. Mamah hegte inzwischen keinerlei Illusionen mehr, dass sie sich eines Tages zusammensetzen und miteinander reden könnten. Catherine würde sich weiterhin zurückhalten, sich weigern, einen Kompromiss zu schließen, und Mamah damit zum Status einer »illegitimen« Frau verurteilen, bis sie alle zu Staub zerfielen. Der Preis, den sie beide für ihre Liebe zu Frank bezahlten, war tatsächlich hoch.
    Am sechsten Tag stand Frank mit einem Blumenstrauß vor der Tür. »Aus deinem Garten«, sagte er. Sein ganzer Körper wirkte zerknirscht.
    Ein scharfer Wind wehte vom Michigansee herüber, als sie am Ufer entlangspazierten. Dieses Mal war er es, der sprach. »Vor langer Zeit haben du und ich einander versprochen, dass wir gegenseitig dafür sorgen wollten, aufrichtig zu bleiben. Wenn du mit mir nach Taliesin zurückkommst, kann ich mich ändern. Ich

Weitere Kostenlose Bücher