Kein Blick zurueck
gewesen war, eine zukünftige Sarah Bernhardt, die wegen streunender Katzen und eingebildeter Kränkungen zu heulen anfing, wutentbrannt in ihr Zimmer stürzte und dort stundenlang Groschenromane verschlang.
»Wenn wir alle Türen öffnen«, sagte Mamah und beeilte sich, genau das zu tun, »findet es allein den Weg nach draußen.« Marthas Gekreisch dauerte an, bis das Eichhörnchen die Flucht antrat.
Das Ungewohnte dieses Besuchs war teilweise darauf zurückzuführen, dass die Kinder außerhalb der Saison da waren. Bei ihrem langen Besuch im letzten Jahr hatten sie sich an ihre sommerlichen Spielkameraden und die Hitze gewöhnt. Jetzt war es Frühling und kühl. Überall gab es neue Menschen, die draußen über den Hof liefen. Und im ganzen Haus herrschte eine fiebrige, gereizte Atmosphäre.
In der letzten Woche hatten sich bei Mamah zu ihrer Entscheidung, die Kinder über Ostern einzuladen, Bedenken angemeldet. Der Auftrag in Midway Gardens hatte sich zu so etwas wie einem Albtraum entwickelt. Die Besitzer wollten den Park am ersten Juni eröffnen. Die Arbeiter auf der Baustelle im Süden Chicagos hatten Anfang März mit dem Aushub und dem Bau begonnen.Und selbst zu diesem fortgeschrittenen Zeitpunkt änderte Frank noch laufend seine Meinung, was Details anging.
Er hatte Emil Brodelle zu Hilfe geholt, um die Entwürfe zu zeichnen, und im Studio, wo Frank Entwürfe zeichnete und immer wieder verwarf, war die Anspannung wegen des nahenden Termins geradezu greifbar. Eines Tageshatte Mamah genau im selben Moment das Studio betreten, als Frank Emils jüngste Zeichnung vom Tisch gerissen, zusammengeknüllt und mit einem »Gottverdammt!« in den Papierkorb geworfen hatte. Mamah hatte auf der Stelle kehrtgemacht und war in die Küche verschwunden, um zu kochen. Sie achtete sehr darauf, sich nicht in Franks Arbeitsbereich einzumischen. Sie beide achteten derzeit auf sehr viele Dinge.
Emil war nicht das einzige neue Gesicht in Taliesin. Außer ihm gab es David Lindblom, einen jungen schwedischen Einwanderer, der sich um den Obstgarten und den Garten kümmerte. Und dann waren da Tom Brunker und Billy Weston. Manchmal brachte Billy seinen Sohn mit, Ernest, damit er ihm wie heute im Garten half. Und noch ein Gesicht würde sich bald zu den anderen gesellen: Frank hatte, als sie in Japan waren, einen japanischen Koch angeheuert. Doch der Mann hatte Schwierigkeiten, ins Land einzureisen, und in der Zwischenzeit kochte Mamah einmal mehr für eine ganze Mannschaft.
So wie sich in Taliesin die Familie immer wieder veränderte, taten das auch die Kinder. Martha war nicht mehr das kleine Mädchen, das den letzten Sommer auf dem Pferderücken verbracht hatte. Mamah erkannte, dass sie inzwischen ein privates, nach innen gerichtetes Leben hatte. John ebenso. Was für ein Schock, als sie John aus dem Zug steigen sah. Die Haare in der Mitte gescheitelt, ein sicheres Zeichen dafür, dass er angefangen hatte, sich im Spiegel wahrzunehmen. Mamah wurde von einem Gefühl der Dringlichkeit gepackt. Sie hatte so viel Zeit mit ihnen verloren, und es gab noch so viel zu tun. Wie bei diesen Besuchen Momente dazwischenquetschen, wie sie ihr selbst als Kind so viel Vergnügen bereitet hatten? Dieses Mal wollte sie während des Besuchs die Nachbarskinder einladen und einTheaterstück oder eine Talentshow aufführen, vielleicht ein Baumhaus planen, das sie im Sommer bauen könnten. Doch sie wagte nicht, irgendetwas zu forcieren. Jedes Treffen bedeutete eine Reihe allmählicher Anpassungen, bis sie alle entspannt die gleiche Luft atmen konnten.
»Frank«, sagte Mamah leise. Er saß in höchster Konzentration an seinem Arbeitstisch und hatte die Stirn in die Hand gestützt.
Emil sah sie und die Kinder in der Tür des Studios stehen. »Mr. Wright«, sagte er.
Frank hob mit glasigem Blick den Kopf.
»Ist der Zeitpunkt gerade ungünstig?«, fragte Mamah.
»Martha! John!«, rief er. Er stand mit weit ausgebreiteten Armen auf und ging auf sie zu. Als er die steife Körperhaltung des Mädchens sah, nahm er sich zurück, streckte ihnen beiden die Hand entgegen und verbeugte sich leicht vor Martha. »Für diese beiden ist nie ein schlechter Zeitpunkt.«
»Ich dachte, du würdest ihnen vielleicht zeigen wollen, woran du gerade arbeitest.«
»Wie ich sehe, interessieren sie sich dafür.« Franks Augen neckten sie.
»Natürlich.« John war durch und durch höflich. Martha ließ die Schultern hängen, ihr Rücken war ein Bogen der
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