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Kein Blick zurueck

Kein Blick zurueck

Titel: Kein Blick zurueck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Horan
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Fuchsfell, das über einer Stuhllehne hing.
    Martha saß im Wohnzimmer in der Fensternische auf der Sitzkante und streichelte Luckys großen Schädel. Der Kopf des Mädchens war zu dem Hund hinuntergebeugt, und ihre seelenvollen, schwarz bewimperten Augen blickten in sein beinahe menschliches Gesicht. Der Hund wirkte ein wenig zerzaust mit seinen buschigen Brauen, einem Bart und herabgezogenen Lefzen, die geradezu darum zu betteln schienen, dass man eine Pfeife dazwischensteckte. Mamah kannte Lucky gut und wusste, er war ein Bettler, der auch den Hartleibigsten noch einen Leckerbissen entlockte. Und Martha war alles andere als hartleibig, außer ihrer Mutter gegenüber.
    Das Mädchen behielt den Mantel an und sagte, sie friere in dem Zimmer. Ihre bestrumpften Beine in neuen, spitzenschwarzen Lacklederstiefeln baumelten unter ihrem Mantelsaum hervor. Sie war ein so schönes, ernstes Kind. Mamah hätte sie am liebsten in die Arme genommen und verschlungen. Stattdessen nahm sie einen Brief vom Tisch und tat so, als würde sie ihn lesen.
    Als Edwin vor zwei Stunden die Kinder in Spring Green abgeliefert hatte, hatte er beobachtet, wie sie den Hund mit ihren Umarmungen beinahe erdrückten. »Martha hat sich ihre Schuhe selbst ausgesucht«, sagte er und nickte in ihre Richtung. Er zuckte die Schultern und lächelte. »Sie hat ihren eigenen Kopf, wenn es um Kleider geht.«
    Mamah hatte gelacht. »Sie mag es gerne ausgefallen, wie mir scheint.«
    Es war ein willkommener Austausch gewesen – kurz, aber ausreichend, um ihr das Gefühl zu vermitteln, ein Ozean sei überbrückt worden. Sie hätte gerne mehr gesagt. Sie wollte sagen, dass Martha groß war wie Edwins Seite der Familie und dass John das sanfte Naturell seines Vaters geerbt hatte. Doch das wäre zu vertraulich gewesen. Gespräche über John und Martha waren für sie und Edwin einmal das größte Vergnügen gewesen, doch inzwischen für sie nicht mehr zu haben. Etwas hatte sich auf dem Bahnsteig jedoch gerade aufgetan. Nächstes Mal würde sie sich weiter vorwagen.
    Als Edwin in den Zug nach Chicago einstieg, ging Mamah mit den Kindern in ein Textilgeschäft. »Kommt, wir kaufen euch beiden Overalls und Stiefel«, sagte sie. »Ihr seid jetzt auf dem Land.«
    Martha schmollte, als ihre Mutter schwere braune Stiefel von einem Wandregal nahm. »Die sind hässlich.«
    »Probier sie mal an, Martha. Matsch und Kuhfladen können deine hübschen Schuhe ganz schnell ruinieren.« Das Mädchen steckte widerwillig seine Füße in die Stiefel.
    »Passen deine auch?«, fragte Mamah John.
    Er wirkte erfreut. »Mhm.«
    Mamah war vor dem Laden stehen geblieben, als sie über ihren Köpfen die vertrauten, kehligen Rufe hörte. Neben der Straße zeigte ein kugelbäuchiger Farmer in den Himmel. »Die Kraniche sind wieder im Lande«, sagte er.
    »Ein Eichhörnchen ist ins Haus gekommen«, sagte John jetzt. Er deutete auf den Holzstapel.
    Tatsächlich, durch eines der Fenster war ein Eichhörnchen hereingeschlüpft. Es stand aufgerichtet auf einem Scheit, die winzigen Pfötchen um den Schaft einer Weizenähre gelegt, die es aus einem von Franks Arrangements herausgezogen haben musste. Das Tier bearbeitete die ungeöffneten Weizenkörner, wie ein Kind einen Maiskolben aß. Spreu regnete um es herum auf das Holz. Als Mamah näher trat, verharrte das Eichhörnchen wie erstarrt mitten in einem Bissen.
    Martha behielt es von der anderen Seite des Zimmers im Auge und war ebenso erstarrt wie das Eichhörnchen. Die Besuche von Kleintieren waren etwas, woran Mamah sich gewöhnt hatte, doch für die Kinder war das Auftauchen eines Eichhörnchens alarmierend. Selbst der Holzstapel, auf dem das Eichhörnchen hockte, musste ihnen seltsam vorkommen. Taliesin war teils Lager, teils Kunstgalerie. In Oak Park stapelte niemand halbierte Baumstämme im Wohnzimmer, wie Frank das hier tat. Wenn Martha und John lange genug hinschauten, würden ihnen die Spinnen auffallen, die zwischen den Scheiten fröhlich ihre Netze webten, ein Zustand, den Elinor in ihrem Haus sicher nicht geduldet hätte. Doch vermutlich würde sie auch keinen bemalten Seidenkimono an die Wand hängen.
    Mamah machte eine Tür auf und scheuchte das Eichhörnchenin diese Richtung, doch das Tier flitzte über den Fußboden auf den Fenstersitz. Martha kreischte und sprang auf und flüchtete sich quer durch das Zimmer, worauf der Hund zu bellen anfing. In diesem Augenblick erinnerte Mamah sich daran, wie sie selbst als neunjähriges Mädchen

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