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Kein Blick zurueck

Kein Blick zurueck

Titel: Kein Blick zurueck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Horan
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dafür bezahlt werden sollen, da es sich dabei um die wichtigste Aufgabe einer Gesellschaft handle. Was mir gefällt, ist, dass sie die Frauen darin unterstützt, in Freiheit ihre Persönlichkeit zu entwickeln. Mir scheint, in der Frauenbewegung wurde die längste Zeit so gut wie gar nicht über Individualität diskutiert. Doch hier spricht eine Frau, die sich mit der tiefer gehenden Frage beschäftigt, was eine Frau ist und was sie sein kann.« »Du siehst sehr viel besser aus.«
    »Danke, mein Geliebter. Ich fühle mich besser. Wahrscheinlich weil dieses Buch mir genau das sagt, was ich gerade hören will.«
    »Als da wäre?«
    »Sie sagt, wenn die Liebe eine Ehe verlässt, dann ist diese Ehe nicht mehr heilig. Wenn aber außerhalb der Ehe eine wahre, große Liebe entsteht, ist diese heilig und gehorcht eigenen Gesetzen. Sie sagt, jedes neue Paar muss beweisen, dass seine Liebe sein Leben und das der menschlichen Rasse erhöht, wenn es miteinander lebt. Da, hör zu. ›Nur das Zusammenleben kann in einem bestimmten Fall über die Moral entscheiden.‹«
    Frank schnitt mit einem kleinen Messer das Brot auf. »Du meinst, wir tun das für die menschliche Rasse?«
    »Oh, hier ist viel von Eugenik die Rede, gewiss. Sie behauptet, wenn die Menschen eine Kultur der Liebe perfektionierten, würde die menschliche Rasse auf eine höhere Ebene gehoben, wo es keine Notwendigkeit mehr gäbe für Gesetze zur Regelung von Ehe und Scheidung.«
    »Wenn wir also ein, zwei Jahrtausende durchhalten, wird es schon werden.«
    »Das hier wird dir gefallen. Heute gibt es Menschen – meist Künstler –, die sich in der Freiheit eines wahrhaftigen Lebens zurechtfinden. Hör zu: ›Ohne ‚kriminelle’ Liebe gäbe es auf dieser Welt nicht nur wesentlich weniger, sondern auch bei weitem unbedeutendere schöpferische Akte.‹ Tatsächlich obliegt es der Verantwortung der Künstler, den anderen Menschen zu zeigen, wie man ein wahrhaftiges Leben führt.«
    Sie suchte seinen Blick. »Frank, ich möchte hierbleiben und diese Frau hören.«
    »Denkst du, es würde dir helfen?«
    »Darin, wie ich mich fühle? Ich weiß nicht, ob es etwas gibt, das lange hilft.« Sie zuckte die Schultern. »Vielleicht.«
    »Was hältst du davon, wenn ich nach Paris vorausfahre und mich dort mit Wasmuths Kontaktmann treffe?«
    »Ich komme allein zurecht.«
    Frank schaute zweifelnd drein.
    »Wirklich«, sagte sie. »Ich komme in ein paar Tagen nach. Schicke mir ein Telegramm, wenn du ein Hotel gefunden hast. Dort finde ich dich.«
    Mamah las bis tief in die Nacht, während Frank neben ihr schlief. Es gab Augenblicke, in denen sie auf einen so wahren Satz stieß, dass sie ihn am liebsten wachgerüttelt hätte. Doch sie konnte nicht aufhören zu lesen, konnte sich nicht die Zeit nehmen, ihm davon zu berichten. Später wäre dafür noch stunden- und tagelang Zeit. Als sie zu dem Kapitel über freie Scheidung gelangte, hatte sie das Gefühl, als hätte Ellen Key sie für dieses Buch befragt: Warum wird das gebrochene Herz als so viel wertvoller angesehen als das oder die beiden, die Schmerz verursachen müssen, um nicht selbst zugrunde zu gehen? Mamah legte das Buch kurz vor Einbruch der Dämmerung zur Seite. Das einzige Geräusch, das durch die Wände des kleinen Hotels drang, war das Ächzen der Kiefern vor ihrem Fenster. Im Dunkeln konnte sie die Riesen ausmachen, deren verschneite Äste sich im Wind beinahe unmerklich bewegten. Sie zog sich die zahlreichen Flickendecken über den Kopf.
    Edwin wusste nicht, wo sie war. Auch ihre Schwester nicht. Sie war in einer Gegend Europas verschwunden, auf die keiner mit dem Finger auf der Landkarte deuten würde. Sie empfand Erleichterung. Es war, als hätte Mamah Cheney, die gedemütigte Frau aus den Schlagzeilen, aufgehört zu existieren. Zum ersten Mal seit vielen Tagen weinte sie nicht, bevor sie endlich einschlief.
Kapitel 23
    Vorne im Raum sprach Ellen Key mit leiser Stimme. Sie war eine pausbäckige, üppige, mütterliche Frau und trug das dünne, graue Haar in der Mitte gescheitelt und über den Ohren nach hinten zu einem Knoten frisiert. Sie trug ein locker fallendes Kleid, das wie ein Chorhemd von ihren runden Schultern hing.
    Mamah starrte auf die nonnenhaft wirkende Gestalt hinter dem Rednerpult, die, unglaublich, über erotische Liebe sprach. Sie versuchte, sie sich als junge Frau vorzustellen, mit einem frischen Gesicht und verliebt. Doch an Ellen Key gab es nichts, das darauf hingedeutet hätte, dass jemals

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