Kein Blick zurueck
resigniert. »Ich könnte zurückkehren. Ich wäre die gedemütigte Hure… ich weiß nicht.«
»Sie brauchen noch Zeit.« Ellen warf einen Blick auf ihre Armbanduhr und bat um die Rechnung. »Ihre Reise hat sich in eine öffentliche Schande verwandelt. Das löscht nicht das Bedürfnis, das Sie an erster Stelle hatten, nämlich herauszufinden, wer Sie sind und wohin Sie gehen wollen. Warten Sie, bis die Dinge sich beruhigt haben. Geben Sie sich zwei Monate.«
»Aber ich mache mir Sorgen um die Kinder. Und demnächst wird mir das Geld ausgehen. Edwin wird mir mit Sicherheit keines schicken.«
»Und was ist mit Frank?«
»Er spricht nicht viel über Geld. Aber ich glaube, er hat gerade genug, um dieses Projekt zu finanzieren.«
»Kinder sind immer die Hauptsache.« Ellen Key stand auf und legte schwungvoll ihren Mantel um. »Mir kommt es allerdings so vor, als müssten Sie zunächst einen Weg finden, sich selbst zu erhalten, bevor Sie einen bestimmten Plan verfolgen.«
Mamah biss sich auf die Innenseite der Wange. »Ich könnte Bücher übersetzen.«
Ellen Key hob den Blick von ihrer Tasche. »Oh, ich habe in London einen Englischübersetzer.«
»Ich weiß. Ich habe die englische Übersetzung von Liebe und Ehe gelesen. Ihr mangelt es an Seele.«
Die Frau blieb stehen, und der verärgerte Ausdruck auf ihrem Gesicht machte Neugier Platz. »Nun.«
»Ich habe Frank Teile daraus vorgelesen. Er nannte die Übersetzung eine Lyrik-Brechmaschine. Sie ist zu britisch, zu steif.« Mamah hielt den Atem an.
Ellen wirkte amüsiert. »Sie sprechen perfekt Deutsch. Was noch?«
»Französisch, Italienisch, Spanisch. Ich habe auch Griechisch und Latein studiert. Ich habe einen Master-Abschluss in Sprachen.«
»Und Schwedisch?«
»Niemand versteht Ihre Ideen besser als ich. Niemand könnte so gut für ein amerikanisches Publikum übersetzen, wie ich es könnte.«
»Aber Schwedisch?«
»Das ist begrenzt. Ein wenig habe ich in Michigan von einer Serviererin in der Pension gelernt, in der ich gewohnt habe, als ich dort unterrichtete. Aber ich könnte es lernen – im Handumdrehen.«
Ellen beugte sich vor. »Wohin gehen Sie als Nächstes?«
»Nach Paris und dann nach Italien, denke ich.«
Ellen blickte auf die Uhr. »Begleiten Sie mich bis zur Sperre?«
Mamah nahm ihre Tasche und verließ mit Ellen Key zusammen das Café.
»Wissen Sie«, sagte Ellen, »Sie tauchen in einem interessanten Moment bei mir auf, Mamah. Ich bin am Ende meiner Lesereise. In zwei Wochen werde ich sechzig. Meine Füße schwellen an, sobald ich am Pult stehe, und an den meistenMorgen dauert es eine Stunde, bis ich meine Beine und Finger bewegen kann. Ich bin des Nomadenlebens müde.
Und ich besorge mir jetzt ein Zuhause. Im letzten Jahr hat mir der schwedische Staat in einem Naturschutzgebiet ein Stück Land überschrieben. Es liegt in der Nähe eines Sees, der ein wenig dem Lago Maggiore ähnelt. Ich habe kein wirkliches eigenes Zuhause mehr gehabt, seit ich vor zwanzig Jahren aus meinem Elternhaus ausgezogen bin. In den letzten Jahren bin ich die meiste Zeit herumgereist. Ich habe mich Stück für Stück verausgabt, und nun ist nicht mehr viel von mir übrig. Wenn mein Haus fertig ist, habe ich die Absicht, es auch zu bewohnen.«
»Wie schön«, sagte Mamah.
»Sehen Sie, wo ich hinwill? Ich habe meine Arbeit noch nicht beendet, aber mein Körper fühlt sich an, als wäre das der Fall. Ich weiß seit einiger Zeit, dass Amerika als Nächstes an der Reihe sein wird. Die amerikanische Frau ist bereit für das, was ich zu sagen habe.«
»Ich habe gute Verbindungen zur Frauenbewegung«, sagte Mamah atemlos. »Mein Herz gehört dieser Sache, seit ich achtzehn war. Ich verstehe die Amerikanerinnen. Ich könnte hervorragende Übersetzungen Ihrer Bücher besorgen. Und ich könnte sie den Leserinnen nahebringen.«
Sie standen an der Sperre, während die Menschenmenge sich um sie herum teilte. Ellen nahm die maschinengeschriebenen Kopien dreier ihrer Essays aus der Tasche, die, wie sie erklärte, unter dem Titel The Morality of Woman zusammengefasst werden sollten.
»Übersetzen Sie sie und schicken Sie sie mir. Wenn mir Ihre Arbeit gefällt, werde ich darüber nachdenken, ob Sie nicht meine amerikanische Übersetzerin werden können.«
Mamah schlang die Arme um sie.
»Sie müssen jedoch eine Bedingung akzeptieren. Ich sprecheIhre Sprache bereits. Sie müssen Schwedisch lernen, um ordnungsgemäß für mich übersetzen zu können.«
Mamahs Herz
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