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Kein Blick zurueck

Kein Blick zurueck

Titel: Kein Blick zurueck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Horan
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irgendetwas sie aus der Ruhe gebracht hätte, am allerwenigsten ein Mann.
    »Die Liebe ist auch ohne Legalisierung durch die Ehe moralisch.«Ellen Keys Stimme wurde lauter und übertönte das Geraschel der Röcke. »Doch eine Ehe ohne Liebe ist unmoralisch.«
    Die Haut auf Mamahs Armen prickelte, als sie sich auf ihrem Stuhl nach vorne beugte.
    »Eine Ehe, die ohne gegenseitige Liebe vollzogen oder weitergeführt wird, hebt weder die persönliche Würde des Mannes noch die der Frau. Vielmehr ist sie ein krimineller Betrug an den höchsten Werten des Lebens.
    Im Rahmen einer neuen Sittlichkeit bedeutet jeder Austausch zwischen Ehemann und Ehefrau ein freies Geschenk der Liebe und kann von keinem der beiden Partner je als sein oder ihr Recht eingefordert werden. Solche Forderungen sind nichts als unziemliche Reste einer niedrigeren Kulturstufe.«
    Mamah bemühte sich, jeden Satz mitzubekommen, und musste ihr Gehirn gehörig anstrengen. Wenn ich mich auf diesen Platz dort vorne setzen könnte, dachte sie. Die Gesichter der Frauen um sie herum waren aufmerksam, doch in keinem erkannte sie auch nur eine Spur dessen, was sie selbst empfand. War sie die Einzige, die von Ellen Keys Worten vorankatapultiert wurde, eine dumme Seelenverwandte, wie jedermann sehen konnte? Mamah stand auf, nahm Mantel und Tasche und drängte sich an den Knien in ihrer Sitzreihe vorbei. Sie spürte, wie ihr Körper vorangetrieben wurde, als sie im Auditorium nach vorne hastete, um sich auf den freien Platz in der ersten Reihe zu setzen.
    »Die neue Sittlichkeitslehre hat zweierlei Widersacher«, sprach Ellen Key. »Der eine ist ein Anhänger konventioneller Moralvorstellungen, der für eine ›reine Liebe‹ ohne Sinnlichkeit eintritt. Diese Leute kleben Feigenblätter auf moderne Kunstwerke und indizieren erotische Literatur.«
    Im Auditorium war leises Gelächter zu hören.
    »Die anderen, die sogenannten Bohemiens, reden temporären Beziehungen das Wort, die sie fälschlicherweise als ›freie Liebe‹ bezeichnen. Diese Leute haben nicht die geringste Vorstellung davon, was eine tiefgehende Zuneigung bedeutet.«
    Ellen Keys Stimme klang genau so, wie sie tags zuvor aus dem Buch zu Mamah gesprochen hatte. Von der Frau ging ein aufklärerischer Geist aus, den Mamah mit hinduistischen Swamis oder Mönchen assoziierte. Sie war eine Mischung aus Weisheit und Empathie.
    »Ich möchte heute über die vornehmste Form der Liebe zu Ihnen sprechen – eine Liebe, die das Spirituelle mit dem Erotischen verbindet. Wenn beide Liebende sich danach sehnen, vollständig eins zu werden, einander zu befreien und den anderen zu höchster Vollendung zu führen, so ist dies die höchste Form der Liebe, die zwischen einem Mann und einer Frau gleicher Moral und gleichen intellektuellen Niveaus möglich ist.
    Eine solche Liebe zu erfahren bedeutet, sich selbst doppelt zu empfinden. Ein solches Gefühl befreit und vertieft die Persönlichkeit, inspiriert uns zu edlen Taten und genialen Werken. Wenn eine so große Liebe geschieht – und sie geschieht nur einmal im Leben –, darf sie für sich ein höheres Recht beanspruchen als alle anderen Gefühle. Eine perfekte Liebe hat im Leben Anspruch auf ihr eigenes Recht.«
    Mamah stellte fest, dass sich eine tiefe Ruhe über sie gesenkt hatte. Jeder Teil ihres Körpers war von Wärme durchdrungen. Von Liebe. Die gespenstischen Schlagzeilen, die sie krank gemacht hatten, traten in den Hintergrund, während sie Ellen Key zuhörte. Sie hatte das Gefühl, sich in Gegenwart von etwas Größerem und Wichtigerem zu befinden, als ihre kleine Fußnote öffentlicher Schande es darstellte.
    In diesem wichtigsten aller Momente ihre tiefsten Instinkteverstanden – und unterstützt! – zu wissen, erschien ihr wie ein Geschenk eines wohlwollenden höheren Wesens.
    Als Ellen Key zu Ende gesprochen hatte, scharten sich die Frauen um das Podium und redeten eifrig auf die Sprecherin ein. Mamah blieb gelassen sitzen. Sie wusste, wenn nötig könnte sie ewig warten. Als die letzte der Frauen gegangen war, sah Ellen Key sie an.
    »Rücken Sie heraus damit«, sagte sie.
    Mamah stand auf und ging auf sie zu. Tränen quollen ihr aus den Augen, als sie mit beiden Händen die Hand dieser Frau ergriff. »Danke« schien ein so unzureichendes Wort zu sein. »Kommen Sie«, sagte Ellen Key und tätschelte mütterlich ihren Rücken. »Ich habe noch eine Stunde Zeit, bis mein Zug fährt. Wir trinken irgendwo Tee.«
Kapitel 24
    »Haben Sie guten Sex mit

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