Kein böser Traum
drei Monaten im Gefängnis besucht hat. Wissen Sie, warum?«
Grace nickte. Sie begann zu begreifen. »MacKenzie hatte Krebs im Endstadium.«
»Richtig. Er hoffte noch immer, eine Einfachfahrkarte ins Gelobte Land zu ergattern. Und plötzlich konnte er nicht mehr mit dem leben, was er getan hatte.« Vespa neigte den Kopf leicht zur Seite und lächelte. »Erstaunlich, wenn man sowieso das Zeitliche segnet, was? Das Timing entbehrt nicht einer gewissen Ironie, wenn man’s überlegt. Er gesteht, sobald kein persönliches Risiko mehr damit verbunden ist. Und wenn du an diesen Schwachsinn von ›beichte-und-es-wird-dir-vergeben‹ glaubst, dann erwartet dich auch noch eine fette Prämie.«
Grace wusste darauf nichts zu sagen. Sie schwieg.
»Jedenfalls hat Gordon MacKenzie die Schuld auf sich genommen. Er war für den hinteren Bühneneingang verantwortlich. Er hat sich von einem hübschen jungen Ding ablenken lassen. Auf diese Weise konnte sich Lawson mit zwei Mädels an ihm vorbei mogeln. Aber das ist nichts Neues für Sie, oder?«
»Nicht ganz, nein.«
»Sie wissen, dass MacKenzie auf Ihren Mann geschossen hat?«
»Ja.«
»Und damit brach die Hölle los. MacKenzie hat sich mit Jimmy X getroffen, nachdem sich die erste Aufregung gelegt hatte. Sie haben Stillschweigen vereinbart. Jacks Verletzung oder die Möglichkeit, dass die Mädchen reden könnten, machte ihnen zwar Sorgen, aber die drei hatten selbst ’ne Menge zu verlieren.«
»Also haben alle die Klappe gehalten.«
»So ungefähr. MacKenzie wurde zum Helden erklärt. Danach bekam er einen Job bei der Bostoner Polizei. Hat es bis zum Captain gebracht. Alles nur wegen seiner Heldentaten in jener Nacht.«
»Und was hat Larue getan, nachdem MacKenzie ihm alles gestanden hatte?«
»Was glauben Sie denn? Er wollte, dass die Wahrheit bekannt
wird. Er wollte Rache. Und er wollte endlich freigesprochen werden.«
»Und warum hat Larue es niemandem erzählt?«
»Oh, das hat er.« Vespa lächelte. »Dreimal dürfen Sie raten, wem.«
Grace wusste sofort Bescheid. »Seiner Anwältin?«
Vespa spreizte die Finger. »Ein gefundenes Fressen für die Dame.«
»Aber wie konnte Sandra Koval ihn überreden, den Mund zu halten?«
»Oh, der Teil ist brillant. In gewisser Weise – und dafür muss man der Dame gratulieren – hat sie das getan, was für ihren Mandanten und ihren Bruder das Beste ist.«
»Wie denn das?«
»Sie hat Larue überzeugt, dass er eine bessere Chance hat, auf Bewährung freizukommen, wenn er nicht die Wahrheit sagt.«
»Das verstehe ich nicht.«
»Sie kennen sich mit den Bewährungsregeln nicht aus, was?«
Sie zuckte mit den Schultern.
»Also die Kommission, die über den Straferlass entscheidet, will keine Unschuldsbeteuerungen hören. Die wollen ihre mea culpas hören. Willst du raus, musst du das Büßergewand anziehen. Du hast gefehlt, erzählst du denen. Du nimmst alle Schuld auf dich – das ist der erste Schritt zu einer Rehabilitierung. Wenn du auf deiner Unschuld beharrst, kannst du im Knast verschimmeln.«
»Hätte MacKenzie nicht aussagen können?«
»Dazu war er schon viel zu krank. Larues Unschuld juckte die Kommission nicht. Hätte Larue diesen Weg einschlagen wollen, hätte er eine Wiederaufnahme des Verfahrens beantragen müssen. Das hätte Monate, wenn nicht gar Jahre gedauert. Nach Sandra Kovals Meinung – und in diesem Punkt hat sie die Wahrheit gesagt – bestand Larues größte Chance, rauszukommen, in einem Schuldbekenntnis.«
»Und sie hatte Recht.«
»Ja.«
»Und Larue wusste nicht, dass Sandra Jacks Schwester ist?«
Vespa spreizte erneut die Finger. »Woher sollte er?«
Grace schüttelte den Kopf.
»Trotzdem war es für Wade Larue noch nicht vorbei. Er wollte noch immer Rache. Und er wollte von jeder Schuld freigesprochen werden. Er wusste, er muss nur warten, bis er aus dem Gefängnis ist. Die Frage war allerdings, wie er es anstellen sollte. Er kannte die Wahrheit. Aber wie sollte er sie beweisen? Wer sollte, verzeihen Sie den Ausdruck, seinen biblischen Zorn zu spüren kriegen? Wer war wirklich an dem schuld, was in jener Nacht passiert ist?«
Grace nickte. Wieder ein Stein, der ins Puzzle passte. »Also hat er sich Jack geschnappt.«
»Der, der das Messer gezogen hat, jawohl. Larue hat seinen alten Gefängniskumpel Eric Wu geschickt, um Ihren Mann zu entführen. Larues Plan war, sich nach seiner Entlassung umgehend mit Eric Wu zusammenzutun. Er wollte Jack zwingen, die Wahrheit zu sagen, das auf
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