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Kein böser Traum

Kein böser Traum

Titel: Kein böser Traum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Coben
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zögerte.
    »Ist nur eine Meile weit entfernt. Biegen Sie an der nächsten Ampel einfach links ab.«
    Wer A sagt, muss auch B sagen, dachte Grace. Sie fuhr. Erwies ihr den Weg. Eine Minute später deutete er in Fahrtrichtung. »Das Eckgebäude da vorn ist es.«
    Das Ärztehaus schien von Zahnärzten und Kieferorthopäden beherrscht. Als sie die Eingangstür öffneten, schlug ihnen der Geruch von Desinfektionsmitteln entgegen. Scott Duncan deutete auf einen Namen auf der großen Tafel. »Sally Li, Dr. med. Das ist sie.« Die Tafel sagte ihnen, dass ihr Büro im Erdgeschoss lag.
    Einen Empfang gab es nicht. Eine Klingel ertönte, als sie die Tür öffneten. Das Büro war entsprechend spartanisch eingerichtet. Das Mobiliar bestand aus zwei durchgesessenen Sofas und einer flackernden Deckenbeleuchtung, die selbst auf dem Flohmarkt
keinen Käufer mehr gefunden hätte. Der ausliegende Lesestoff war ein Katalog von Instrumenten für Pathologen.
    Eine Frau asiatischer Herkunft, Mitte vierzig und mit müdem Blick, steckte den Kopf aus der Tür, die zum eigentlichen Büro führte. »Hallo, Scott.«
    »Hallo, Sally.«
    »Wen hast du mitgebracht?«
    »Grace Lawson«, antwortete er. »Sie hilft mir.«
    »Freut mich«, sagte Sally. »Bin gleich bei euch.«
    Grace erlaubte den Kindern, weiter mit ihren Gameboys zu spielen. Die Gefahr und in diesem Fall gleichzeitig das Großartige bei diesen Spielen war, dass durch sie die Außenwelt vollkommen ausgeblendet wurde.
    Sally öffnete die Tür. »Kommt rein.«
    Sie trug saubere Chirurgenkleidung und Schuhe mit hohen Absätzen. In der Brusttasche ihres Kittels steckte eine Packung Marlboro. Das Büro, wenn man es so nennen wollte, sah aus, als sei hier kürzlich eine Bombe eingeschlagen. Überall lagen Papiere herum, ergossen sich wasserfallähnlich über den Schreibtisch und quollen aus Regalen. Dazwischen lagen aufgeschlagene Pathologiebücher. Ihr Schreibtisch aus Metall wirkte reichlich altersschwach. Bilder, Fotos oder andere persönliche Gegenstände waren nirgends zu entdecken – mit Ausnahme eines überdimensionalen Aschenbechers, der in der Mitte des Schreibtischs unangefochten seinen Platz behauptete. Überall stapelten sich turmhoch Fachzeitschriften. Etliche dieser Stapel waren bereits eingestürzt. Sally hatte sich nicht die Mühe gemacht, sie wieder aufzuschichten. Sie sank auf den Stuhl hinter dem Schreibtisch.
    »Werfen Sie das Zeug einfach auf den Boden. Setzt euch.«
    Grace nahm einen Stapel Papiere vom Stuhl und nahm Platz. Duncan tat es ihr gleich. Sally verschränkte die Hände und legte sie in den Schoß.

    »Patientenpsychologie ist nicht mein Ding, das wissen Sie, Scott.«
    »Ja, weiß ich.«
    »Zum Glück können sich meine Patienten nie beschweren.«
    Sie war die Einzige, die lachte.
    »Jetzt wisst ihr, weshalb mich niemand zum Essen einlädt.« Sally griff nach einer Lesebrille und kramte in den Akten. »Wo habe ich denn … Wartet, hier ist es.«
    Sally fischte einen braunen Umschlag aus dem Chaos.
    »Ist das der Autopsiebericht meiner Schwester?«, fragte Duncan.
    »Ja.«
    Sie schob ihn zu Duncan hinüber. Er öffnete ihn. Grace beugte sich zu ihm. Darüber stand in Großbuchstaben DUNCAN, GERI. Fotos waren beigelegt. Auf einem entdeckte Grace ein braunes Skelett, das auf einem Tisch ausgebreitet lag. Sie wandte sich entsetzt ab.
    Sally Li hatte jetzt die Füße auf den Schreibtisch gelegt, die Hände im Nacken verschränkt. »Also, Scott … wollen Sie von mir die ganze Prozedur erklärt bekommen oder genügt Ihnen eine kurze Zusammenfassung?«
    »Das Wesentliche, bitte.«
    »Ihre Schwester war zum Zeitpunkt ihres Todes schwanger.«
    Duncan zuckte wie unter einem Peitschenhieb zusammen. Grace rührte sich nicht.
    »Ich kann nicht sagen, in welchem Monat sie war. Aber mehr als im vierten oder fünften Monat dürfte sie kaum gewesen sein.«
    »Das begreife ich nicht«, sagte Duncan. »Die müssen doch schon damals eine Autopsie durchgeführt haben.«
    Sally nickte. »Da bin ich sicher.«
    »Warum haben sie es dann nicht entdeckt?«
    »Wollen Sie meine Meinung hören? Sie haben es entdeckt.«
    »Aber ich hatte keine Ahnung …«

    »Warum sollten Sie? Sie waren damals Student. Vermutlich haben sie es Ihrer Mutter oder Ihrem Vater gesagt. Sie waren nur der Bruder. Und ihre Schwangerschaft hatte mit der Todesursache nichts zu tun. Sie ist bei einem Brand in einem Studentenheim umgekommen. Die Tatsache, dass sie schwanger war, war irrelevant.«
    Scott Duncan

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