Kein Durcheinander
dem allgemeinen Umsturz der Verhältnisse, den das Werk von Barbicane & Cie. herbeiführen mußte, jene Wasserhosen, Springfluthen, jene Ueberschwemmungen, welche in größeren Zwischenräumen einen beschränkten Theil der Erde verwüsteten? Damit verschwanden vielleicht einige Tausend Bewohner derselben, die unzähligen Ueberlebenden aber fanden sich dadurch wohl kaum in ihrer Gemüthsruhe gestört. Je nachdem sich das schicksalsschwere Datum näherte, packte die bleiche Furcht allmählich auch den Beherztesten. Die Wahrsager hatten es schrecklich bequem, den nahen Weltuntergang zu prophezeien. Man hätte sich fast in jene entsetzliche Periode des Jahres 1000 zurückversetzt glauben können, wo die damals Lebenden sich einbildeten, ins Reich der Todten hinabgeschleudert zu werden.
Man erinnere sich gefälligst hierbei, was jener Zeit vor sich ging. Nach einem Satze in der Apokalypse (der Offenbarung Johannis) wurden die Völker zu dem Glauben verleitet, der Tag des Jüngsten Gerichts stehe vor der Thür. Sie erwarteten alle die durch die heilige Schrift verkündeten Zeichen des göttlichen Zornes und versahen sich des Auftretens des Antichrist, des Sohnes der Hölle.
»Im letzten Jahre des zehnten Jahrhunderts, erzählt H. Martin, war Alles unterbrochen, Vergnügen, Geschäfte, jedes Interesse lahmgelegt, und das erstreckte sich sogar bis auf die Landarbeiten. »Weshalb, sagten die Leute, sollte man für eine Zukunft sorgen, die es nicht geben wird? Sorgen wir für die morgen beginnende Ewigkeit!« – Man begnügte sich daher, nur den nothwendigsten Bedürfnissen genug zu thun und vermachte seinen Landbesitz, seine Schlösser den Klöstern, um sich im Reiche Derjenigen, zu denen man bald gelangen sollte, Fürsprecher zu erkaufen. Viele jener für Kirchen ausgestellten Schenkungsurkunden beginnen mit den Worten: »Da das Ende der Welt herannaht und deren Zerstörung so nahe bevorsteht…. Als der schließliche Termin dann kam, drängten die Menschen in die Kirchen, die Kapellen, in alle dem Gottesdienst geweihten Gebäude und warteten, von Todesangst zermartert, daß die sieben Posaunen der sieben Engel des Gerichtes vom Himmel her ertönen sollten.«
Bekanntlich verlief aber der erste Tag des Jahres 1000 n. Chr. ohne die geringste Störung der herkömmlichen Naturgesetze. Diesmal freilich handelte es sich nicht um einen Umsturz, der nur auf Textworte von bibelhafter Dunkelheit begründet gewesen wäre. Es handelte sich vielmehr um eine Veränderung der Gleichgewichtslage der Erde, welche auf unbestrittenen und unbestreitbaren Rechnungen beruhte, um ein Unternehmen, das die unerhörten Fortschritte der ballistischen und mechanischen Wissenschaften recht wohl ausführbar erscheinen ließen. Jetzt war es nicht die Sache des Meeres, die Todten wieder herauszugeben, die Lebenden im Gegentheile sollten tief in den neu entstehenden Abgründen begraben werden.
Hieraus folgt, daß, trotz aller durch den Einfluß moderner Ideen mit den Geistern vorgegangenen Veränderungen, Furcht und Schrecken einen so hohen Grad erreichten, um zu ganz ähnlichen Thorheiten zu verleiten, wie in jenem Jahr 1000 n. Chr. Niemals traf man mit so großem Eifer alle Vorbereitungen zur Fahrt aus dieser in eine bessere Welt. Niemals haspelten ängstliche Gläubige so erstaunliche Sündenregister herunter, und nie wurden so viele Absolutionen den zerknirschten, reuigen Seelen aufgepackt. Es war sogar davon die Rede, eine General-Absolution zu erflehen, welche ein Breve des Papstes allen Leuten von gutem Willen – und auch von guter, schöner Furcht – gleich auf der ganzen Erde ertheilen sollte.
Unter diesen Umständen wurde die Lage J. T. Maston’s mit jedem Tage bedenklicher. Mrs. Evangelina Scorbitt fürchtete, er könne der allgemeinen Verfolgung zum Opfer fallen. Vielleicht kam ihr da auch der Gedanke, ihm den Rath zu geben, jenes Wort auszusprechen, welches er mit so beispiellosem Trotze zu verschweigen sich versteifte. Doch das wagte sie nicht und that wohl daran; sie hätte sich doch nur einer unglimpflichen Abweisung ausgesetzt.
Wie man sich leicht vorstellen kann, wurde es selbst in der Stadt Baltimore, jetzt eine Beute des Entsetzens sehr schwierig, die große Menge im Zügel zu halten, da diese durch die meisten Zeitungen der Union, durch die Depeschen, welche »aus allen vier Winkeln der Erde« eintrafen – um die apokalyptische Ausdrucksweise beizubehalten, deren sich der Evangelist Johannes zur Zeit des Kaisers Domitian
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