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Kein Engel so rein

Kein Engel so rein

Titel: Kein Engel so rein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Connelly
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die Röntgenaufnahmen heraus und begann das Krankenblatt des Patienten zu lesen.
    Bosch kannte das Dokument bereits. Vom Krankenhaus war darin vermerkt worden, dass der Junge am 11. Februar 1980 um 17 Uhr 40 von seinem Vater in der Notaufnahme eingeliefert worden war. Dieser hatte angegeben, der Junge habe sich in einem benommenen, nicht ansprechbaren Zustand befunden, nachdem er sich bei einem Sturz mit seinem Skateboard den Kopf angeschlagen hatte. Zur Verringerung des Drucks im Innern des Schädels, der durch eine Schwellung des Gehirns verursacht wurde, war der Junge am Kopf operiert worden. Der Junge blieb zehn Tage zur Beobachtung im Krankenhaus und wurde dann entlassen. Zwei Wochen später musste er erneut ins Krankenhaus, um sich die Klammern entfernen zu lassen, mit denen der Schädel nach der ersten Operation zusammengehalten worden war.
    An keiner Stelle der Akte fand sich ein Hinweis, dass der Junge darüber geklagt hatte, von seinem Vater oder sonst jemandem misshandelt worden zu sein. Während er sich im Krankenhaus von der ersten Operation erholte, wurde er von einer Sozialarbeiterin einer Routinebefragung unterzogen. Ihr Bericht umfasste weniger als eine halbe Seite. Darin stand, der Junge habe erklärt, sich beim Skateboardfahren verletzt zu haben. Es kam weder zu einer weiteren Befragung, noch wurden Jugendamt oder Polizei eingeschaltet.
    Kopfschüttelnd las Golliher das Dokument zu Ende.
    »Was ist?«, fragte Bosch.
    »Nichts. Und genau das ist das Problem. Keine weiteren Nachforschungen. Sie haben den Jungen beim Wort genommen. Sein Vater saß wahrscheinlich neben ihm, als er befragt wurde. Wissen Sie, wie schwierig es für ihn gewesen wäre, die Wahrheit zu sagen? Und deshalb haben sie ihn einfach wieder zusammengeflickt und zu dem Menschen zurückgeschickt, der ihm das alles angetan hat.«
    »Augenblick, Doc, da greifen Sie jetzt aber ein bisschen vor. Versuchen wir erst mal – soweit das überhaupt geht –, eine definitive Identifizierung zu bekommen. Dann können wir uns Gedanken darüber machen, wer dem Jungen das alles angetan hat.«
    »Wie Sie meinen. Es ist Ihr Fall. Die Sache ist nur, dass ich so was schon hundert Mal gesehen habe.«
    Golliher legte die Berichte beiseite und griff nach den Röntgenaufnahmen. Bosch beobachtete ihn mit einem abwesenden Lächeln. Anscheinend war Golliher verärgert, weil Bosch nicht mit derselben Schnelligkeit dieselben Schlüsse gezogen hatte wie er.
    Golliher legte zwei Röntgenaufnahmen auf den Lichtkasten. Dann ging er zu seinem eigenen Ordner und nahm die Röntgenaufnahmen heraus, die er vom Wonderland-Schädel gemacht hatte. Er knipste die Beleuchtung des Lichtkastens an, und vor ihnen leuchteten drei Röntgenbilder auf. Golliher deutete auf die Aufnahme, die er aus seinem Ordner genommen hatte.
    »Das ist eine radiologische Röntgenaufnahme, die ich gemacht habe, um ins Innere der Schädelknochen sehen zu können. Zu Vergleichszwecken können wir sie hier aber trotzdem verwenden. Morgen, wenn ich wieder in der Gerichtsmedizin bin, werde ich den Schädel selbst benutzen.«
    Golliher beugte sich über den Lichtkasten und griff nach einem kleinen Okular, das griffbereit auf einem Bord lag. Er hielt ein Ende an sein Auge und drückte das andere auf eins der Röntgenbilder. Nach einer Weile wanderte er damit zu einer der Krankenhausaufnahmen weiter und hielt das Okular auf dieselbe Stelle des Schädels. So wechselte er mehrere Male zwischen den Röntgenbildern hin und her und nahm eine Reihe von Vergleichen vor.
    Als er fertig war, richtete sich Golliher auf, lehnte sich an den Arbeitstisch daneben und verschränkte die Arme.
    »Das Queen of Angels war ein staatliches Krankenhaus. Die Geldmittel waren immer knapp. Sie hätten mehr als zwei Aufnahmen vom Kopf dieses Jungen machen sollen. Dann hätten sie vielleicht einige der anderen Verletzungen gesehen.«
    »Na schön, aber sie haben es nicht gemacht.«
    »Nein, haben sie nicht. Aber anhand dessen, was sie gemacht haben und was wir hier haben, konnte ich mehrere Vergleichspunkte am Rondell, am Bruchmuster und entlang der Schuppennaht etablieren. Für mich besteht überhaupt kein Zweifel mehr.«
    Er deutete auf die Röntgenaufnahmen, die immer noch auf dem Lichtkasten lagen.
    »Darf ich vorstellen, Arthur Delacroix.«
    Bosch nickte.
    »Okay.«
    Golliher ging zum Lichtkasten und begann, die Röntgenbilder einzusammeln.
    »Wie sicher sind Sie sich?«
    »Wie bereits gesagt, für mich besteht nicht mehr der

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