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Kein Engel so rein

Kein Engel so rein

Titel: Kein Engel so rein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Connelly
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leiseste Zweifel. Morgen in der Gerichtsmedizin werde ich mir den Schädel noch mal ansehen, aber ich kann Ihnen jetzt schon sagen, er ist es. Die Übereinstimmung ist uneingeschränkt.«
    »Das heißt also, wir werden keine peinlichen Überraschungen erleben, wenn wir jemand festnehmen und vor Gericht stellen?«
    Golliher sah Bosch an.
    »Keine Überraschungen. Diese Erkenntnisse lassen sich nicht anfechten. Das Einzige, was anfechtbar ist, ist die Deutung der Verletzungen. Wenn ich mir diesen Jungen ansehe, sehe ich etwas ganz, ganz Schreckliches. Und das werde ich auch vor Gericht bezeugen. Vorbehaltlos. Aber dann sind da natürlich auch diese offiziellen Unterlagen.«
    Er deutete geringschätzig auf die offene Akte mit den Krankenhausunterlagen.
    »Darin ist von einem Skateboard die Rede. Das ist der Punkt, in dem es Unstimmigkeiten geben wird.«
    Bosch nickte. Golliher legte die zwei Röntgenbilder in den Ordner zurück und schloss ihn. Bosch steckte ihn in seine Aktentasche.
    »Nun ja, Doktor, vielen Dank, dass Sie sich Zeit für mich genommen haben. Ich glaube –«
    »Detective Bosch?«
    »Ja?«
    »Es schien Ihnen richtig unangenehm zu sein, als ich neulich auf die Notwendigkeit zu sprechen kam, an das zu glauben, was wir tun. Im Grunde genommen haben Sie sogar das Thema gewechselt.«
    »Das ist auch kein Thema, über das ich besonders gern spreche.«
    »Aber gerade in einem Job wie Ihrem, würde ich meinen, ist es von größter Wichtigkeit, eine gesunde Spiritualität zu haben.«
    »Ich weiß nicht. Mein Partner gibt mit Vorliebe irgendwelchen Außerirdischen die Schuld an allem, was nicht in Ordnung ist. Das ist wahrscheinlich auch eine gesunde Einstellung.«
    »Sie weichen meiner Frage aus.«
    Bosch wurde ärgerlich, und das Gefühl glitt rasch in Richtung Wut ab.
    »Wie lautet Ihre Frage, Doc? Warum liegt Ihnen so viel an mir und an dem, was ich glaube oder nicht glaube?«
    »Weil es wichtig für mich ist. Ich befasse mich mit Knochen. Dem Gerüst des Lebens. Und ich bin zu der Überzeugung gelangt, dass es etwas mehr gibt als Blut und Gewebe und Knochen. Es gibt etwas anderes, das uns zusammenhält. Ich habe etwas in mir, das Sie auf keiner Röntgenaufnahme sehen werden, etwas, das mich zusammenhält und mich nicht aufgeben lässt. Und wenn ich deshalb jemand begegne, bei dem an der Stelle, wo ich meinen Glauben habe, Leere herrscht, bekomme ich Angst um den Betreffenden.«
    Bosch sah ihn lange an.
    »Sie täuschen sich in mir. Ich habe einen Glauben, und ich habe eine Aufgabe. Nennen Sie es meinetwegen die blaue Religion, nennen Sie es, wie Sie wollen. Es ist die Überzeugung, dass das hier nicht einfach im Sand verlaufen wird. Dass diese Knochen nicht ohne Grund aus der Erde gekommen sind. Dass sie aus der Erde gekommen sind, damit ich sie finde und ihretwegen etwas unternehme. Und das ist, was mich zusammenhält und nicht aufgeben lässt. Und auch das kann man nicht auf Röntgenbildern sehen. Okay?«
    Er sah Golliher an und wartete auf eine Antwort. Aber der Anthropologe sagte nichts.
    »Ich muss jetzt los, Doktor«, sagte Bosch schließlich. »Vielen Dank für Ihre Hilfe. Mir ist jetzt einiges klar geworden.«
    Damit ließ er ihn inmitten der dunklen Knochen zurück, auf denen die Stadt erbaut worden war.

26
    Edgar war nicht an seinem Platz am Morddezernattisch, als Bosch in den Bereitschaftsraum zurückkehrte.
    »Harry?«
    Bosch blickte auf und sah Lt. Billets in der Tür ihres Büros stehen. Durch das Fenster konnte er Edgar vor ihrem Schreibtisch sitzen sehen. Er stellte seine Aktentasche ab und ging auf sie zu.
    »Was gibt’s?«, fragte er, als er das Büro betrat.
    »Nein, das ist meine Frage an Sie«, sagte Billets, als sie die Tür schloss. »Haben wir eine Identifizierung?«
    Sie ging hinter ihren Schreibtisch und setzte sich, während Bosch neben Edgar Platz nahm.
    »Ja, wir haben eine Identifizierung. Arthur Delacroix, verschwunden am vierten Mai neunzehnhundertachtzig.«
    »Sind sie sich da in der Gerichtsmedizin auch ganz sicher?«
    »Ihr Knochenspezialist sagt, es gibt überhaupt keinen Zweifel.«
    »Wie nah liegen wir damit zeitlich am Todeszeitpunkt?«
    »Ziemlich nah. Der Knochenspezialist sagte ja schon, bevor wir Näheres wussten, dass der tödliche Schlag auf den Schädel etwa drei Monate nach dem Zeitpunkt erfolgte, zu dem der Junge wegen des ersten Schädelbruchs operiert werden musste. Die ärztlichen Unterlagen für diesen Eingriff haben wir heute erhalten. Elfter Februar

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